Tschaikowskys „Jolanthe“ unter Petrenko – ein Triumph der russischen Seele

Tschaikowskys „Jolanthe“ unter Petrenko – ein Triumph der russischen Seele

Tschaikowskys letzte Oper, der Einakter „Jolanthe“ ist außerhalb des russischen Kulturkreises selten zu hören. Davon ausgehend, dass das wohl seine Gründe hätte, war die Erwartungshaltung für diese konzertante Aufführung überschaubar. Aber was für eine Fehleinschätzung! Wie schon beim konzertanten „Mazeppa“ im Herbst hatte Kirill Petrenko für die Aufführung fast ausschließlich russische Sänger verpflichtet. Das sicherte nicht nur eine idiomatisch saubere Interpretation, es trug auch der Tatsache Rechnung, dass russische Musik mit einer anderen Technik gesungen werden muss.

Die Handlung dieser 90-minütigen Oper gibt tatsächlich wenig her. Es ist ein sentimentales Märchen um die blinde Königstochter Jolanthe, der ihr Vater aus Liebe das Gebrechen verschweigt, um sie ihr Unglück nicht empfinden zu lassen. Die Sache nimmt eine glückliche Wendung, die hauptsächlich durch einen Prinzen möglich wird, am Ende stimmen alle Beteiligten einen frommen Hymnus an. Eine Zutat fast aller Opern fehlt: der oder die böse Gestalt. „Jolanthe“ ist eine Ansammlung von Gutmenschen. Das klingt nach Langeweile, aber was Kirill Petrenko, die Berliner Philharmoniker, der Rundfunkchor Berlin und ein erlesenes Ensemble von zehn Solisten daraus machen, veranlasst das pandemiemüde Berliner Publikum zu mehrfachem Szenenapplaus und anhaltendem Jubel am Ende.

Man weiss nicht, was man mehr bewundern soll: die Philharmoniker, die sich von ihrem Chef mehr und mehr das russische Flair aneignen, den blendend disponierten  Rundfunkchor Berlin oder die ausnahmslos souverän agierenden Solisten.

Mika Kares als bassgewaltiger König René setzt einen hohen Standard für die dunklen Stimmen. Igor Golovatenko als Robert steht ihm aber an Brillanz nicht nach und erhält den ersten spontanen Szenenapplaus des Abends. Im Sturm erobert der Tenor Liparit Avetysian nicht nur Jolanthes sondern auch die Herzen des Publikums. Er singt mit einer Emphase, die vielleicht nur der russischen Seele eigen ist. Jolanthes Amme wird sonor orgelnd von Margarita Nekrasova verkörpert, Anna Denisova und   Victoria Karkacheva lassen als Jolanthes Dienerinnen und Freundinnen erfreuliche Töne hören. Als einziger nicht russischer Sänger ist der Wiener Bariton Michael Kraus als maurischer Arzt zu hören, der sich aber perfekt in das russische Ensemble einfügt.

Als Jolanthe war ursprünglich Sonya Yoncheva vorgesehen, die kurzfristig durch Asmik Grigorian ersetzt wurde, was die Authentizität in dieser Rolle steigerte. Grigorian hat sich in den letzten Jahren in die erste Reihe der international gefragten Sopranistinnen gesungen, auch diesmal kann sie mit ihrer schlanken, sicher geführten Stimme überzeugen, die der Königstochter ein stimmlich reizvolles Profil verleiht.

Kirill Petrenko ist erneut in seinem Element, das Publikum lässt sich nur allzu gern auch auf diese Entdeckungsreise mitnehmen. Am Ende Blumen und verdienter Jubel für alle Beteiligten.

Kirill Petrenko, Berliner Philharmoniker. Foto: © Monika Rittershaus

Philharmonie Berlin, 12. Januar 2022

Peter Tschaikowsky
Jolanthe op. 69 (konzertante Aufführung)

Asmik Grigorian Sopran (Jolanthe) (anstelle von Sonya Yoncheva)
Mika Kares Bass (König René)
Liparit Avetisyan Tenor (Vaudémont)
Igor Golovatenko Bariton (Robert)
Michael Kraus Bariton (Ibn-Hakia)
Anna Denisova Sopran (Brigitta)
Victoria Karkacheva Mezzosopran (Laura)
Margarita Nekrasova Alt (Marta)
Dmitry Ivanchey Tenor (Almerik)
Nikolay Didenko Bariton (Bertrand)

Rundfunkchor Berlin

Berliner Philharmoniker
Kirill Petrenko
Dirigent

zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de

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