Staatsoper Unter den Linden: Frau mit Schlagschatten

Staatsoper Unter den Linden: Frau mit Schlagschatten
© Hans Jörg Michel

Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal haben diese große Märchenoper als ihre persönliche „Zauberflöte“ und ihr opus magnum verstanden. Die Rezeptionsgeschichte des 1919 in Wien uraufgeführten Werkes verlief allerdings schleppend. Das Publikum empfand die Geschichte der Tochter des Geisterkönigs Keikobad und ihrer Wandlung zu einem fühlenden, mitleidigen Menschen als zu kompliziert und versponnen.

In jüngerer Zeit hat sich das Werk, das reich an wunderbaren musikalischen Einfällen ist, mehr und mehr durchgesetzt. Die Berliner Staatsoper Unter den Linden zeigt es in einer Inszenierung von Claus Guth, die im letzten Jahr im Schillertheater ihre Premiere hatte. Der Regisseur inszeniert die gesamte Handlung als Traumvision der Kaiserin, die über weite Strecken im Bett eines Kranken- oder Irrenhauses liegt. Dieser – keineswegs neue – Einfall führt aber den Sinngehalt des Werkes komplett ad absurdum. War alles nur ein Traum, so ist der humanitäre, schöne Grundgedanke des Textes verloren.

Interessant, dass es Guth nicht gelingt, das Fehlen des Schattens der Kaiserin, später auch der Färbersfrau beleuchtungstechnisch umzusetzen. Ein harter Schlagschatten der Frauen ist jederzeit sichtbar. Unglücklich ist auch die Idee, den Geistervater Keikobad mit Tierkopf und am Stock gehend immer wieder auftreten zu lassen, wie auch insgesamt allzu viel Bühnenpersonal permanent das Bild stört und verwirrt. Speziell bei den Aktschlüssen versagt der Regisseur völlig, ein konzeptionsloses Durcheinander auf der Bühne verschenkt die dramaturgisch wichtigsten Momente der Handlung.

Wenig ansprechend sind auch die von Christian Schmidt gestalteten Bühnenbilder und Kostüme. Als Rahmen der Bühne dient eine Konstruktion, die fatal an die Optik einer Neckermann-Wohnwand  unseligen Angedenkens aus den 1970er-Jahren erinnert. Auch bei den Kostümen herrscht weitgehend Tristesse vor, grau und braun sind die dominierenden Farben.

Eines war diese Aufführung an einem stürmischen Herbstnachmittag vor allem: laut. Schon in der ersten Szene geben der solide singende Geisterbote Boaz Daniel und die Amme Michaela Schusters eine Lautstärke als Messlatte vor, die den Abend über weite Strecken prägen wird. Die konzentriert und straff geführte Staatskapelle bietet eine mehr als nur solide Leistung, auch wenn  das Schwelgen im  Strauss’schen Wohlklang durchaus noch etwas sinnlicher ausfallen könnte. Dirigentin ist die für diese Wiederaufnahme ans Haus zurückgekehrte Simone Young, die ihre Karriere in den 90er-Jahren an der Staatsoper begann, und zu Recht am Ende gefeiert wird.

Simon O’Neill gibt einen Kaiser, der stimmlich vor Kraft kaum gehen kann. Das metallische Timbre seines Tenors passt gut zu dieser eindimensional gedachten Figur, technisch bewältigt er alle Tücken dieser Partie souverän. Störend ist nur die Lautstärke, mit der er singt.

Das gilt in noch höherem Maße für Michaela Schuster und Michael Volle. Schusters messerscharfer Mezzosopran ist in den höheren Lagen unangenehm schrill und kann ein zu starkes Tremolo nicht mehr verbergen. Michael Volles Barak strotzt geradezu vor Kraft, leider gibt der Sänger dem Affen ein wenig zu viel Zucker, seine Lautstärke siegt sogar mühelos über das Orchester und erreicht stellenweise Gebrüll-Stärke. Schade, denn die Stimme ist kernig, gut geerdet und rund. Es fehlt allerdings an einer Piano-Kultur, vielleicht auch deshalb die Flucht ins Laute.

Vor dieser Gefahr bewahrt die Kaiserin Camilla Nylunds ihr eher lyrisches Organ. Sie bleibt den ganzen Abend ihrer Gesangslinie treu, singt auch die exponierten Passagen sicher und textverständlich. Was ihr fehlt, ist ein Quentchen Leidenschaft und ein markantes persönliches Timbre.

Die Palme gebührt an diesem Abend eindeutig der Färbersfrau Elena Pankratowas. Als einzige der Protagonisten gestaltet sie ihre Rolle nicht nur musikalisch, sie gibt auch im Spiel ein überzeugendes Porträt dieser unverstandenen, sich nach Liebe sehnenden Frau. Ihr großer dramatischer Mezzosopran ist ausgesprochen wandlungsfähig, verfügt über viele Farben und Schattierungen. Mit Sicherheit stünde auch ihr eine noch größere Lautstärke zur Verfügung, aber sie scheint als Einzige zu wissen, dass weniger manchmal mehr ist.

Simone Young, einst Schülerin und Assistentin Daniel Barenboims, ist in Berlin keine Unbekannte. In den 1990er-Jahren war sie fest an die Staatsoper gebunden, man erinnert sich hier noch gut an viele von ihr ausgezeichnet geleitete Repertoireaufführungen – auch Konzerte mit der Staatskapelle hat sie erfolgreich geleitet, ehe die gebürtige Australierin erst einem Ruf nach Sidney, später als GMD nach Hamburg folgte. Es war also ein freudiges und erfreuliches Wiederhören mit der sympathischen Dirigentin.

Am Ende der über vierstündigen Aufführung großer Jubel, der annähernd die Dezibel-Stärke der Sängerstimmen erreicht.

Richard Strauss, Die Frau ohne Schatten
Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 23. September 2018

Zuerst erschienen bei www.klassik-begeistert.de

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