Der Regisseur Ole Anders Tandberg vernichtet Bergs “Wozzeck” in 90 Minuten

Der Regisseur Ole Anders Tandberg vernichtet Bergs “Wozzeck” in 90 Minuten
© Markus Lieberenz

Vierzig Jahre war dieses Schlüsselwerk der Moderne an der Bismarckstraße in Berlin nicht mehr auf dem Spielplan. Aber statt sich über die Rückkehr dieses Opernklassikers zu freuen, kann man nur hoffen, dass diese desaströse Produktion schnell wieder vom Spielplan verschwindet.

Ole Anders Tandbergs Absicht, das Stück in der Gegenwart zu verorten, wäre noch nicht falsch, obwohl Vieles an den geschilderten Verhältnissen heute so nicht möglich ist. Dass er aber für die Handlung einen konkreten Ort, sogar einen genauen Tag benennt, ist schlicht unsinnig. Der Norwegische Nationalfeiertag und eine triste Osloer Bar engen die Allgemeingültigkeit des Stoffes ungebührlich ein. Fähnchen schwenkende Choristen und das trostlose Einheitsbühnenbild, die falschen Kostüme – Wozzeck mit Krawatte und Marie im eleganten Kleid – verfremden das Werk unnötig.

Atmosphäre will sich den ganzen Abend nicht einstellen, weil es Tandberg nicht gelingt, seine Figuren zu formen, ihnen Leben einzuhauchen. Das wird noch durch einige Fehlbesetzungen verstärkt. Thomas Blondelle als Tambourmajor ist stimmlich und als Figur zu leichtgewichtig, hier ist ein auftrumpfender Heldentenor gefragt, der einen Gegenpol zur Figur Wozzecks darstellt.

Die oft so wunderbare Elena Zhidkova als Marie ist ebenfalls eine krachende Fehlbesetzung. Die Mezzosopranistin kämpft vergeblich gegen ihren starken slawischen Akzent, der in dieser Rolle doch sehr befremdlich wirkt. Stimmlich liegt ihr diese Zwischenfachpartie nicht, die Höhe ist schrill, auch in den tieferen Passagen klingt die Stimme spröde und nicht frei.

Dadurch hat der Wozzeck Johan Reuters zu schwache Gegenspieler, die Balance des Stückes stimmt nicht mehr. Reuter selbst, heute im internationalen Ranking ein Star seines Faches, singt wohl in dieser Produktion seinen ersten Wozzeck. Man hätte ihm einen besseren Einstieg in diese diffizile Rolle gewünscht. Vom stimmlichen her hat der kultivierte Bassbariton keine Schwierigkeiten mit seinem Part, aber er singt ohne jede innere Beteiligung an der Rolle vorbei. In keinem Augenblick kann er die existenzielle Not dieser Figur glaubhaft machen, den langsam dem Irrsinn verfallenden gequälten  Menschen abbilden. Das „Wir armen Leut“ oder „Mich schwindelt“ wird sehr beliebig und emotionslos in den Raum gestellt. Die mangelnde Textverständlichkeit wertet seine Leistung noch zusätzlich ab. Es stellt sich die Frage, ob seine Interpretation in einer weniger sterilen Produktion besser ausgefallen wäre.

Den Darstellern der Nebenrollen gelingt es schon eher, ihren Rollen Profil zu geben. Der Hauptmann Burkhard Ulrichs und der Narr Andrew Dickinsons gehören zu den Pluspunkten der Produktion, letzterem wird von der Regie eine weibliche Tracht verordnet, nicht die einzige Unsinnigkeit dieses Abends. Erstaunlich gut können sich der Doktor Seth Caricos und die Margret Annika Schlichts profilieren, sie singen auch ausgezeichnet.

Der entscheidende Fehler dieser Regiearbeit ist das Ausblenden aller Emotionen. In einem grauen, trostlosen Raum der als einziges Bühnenbild dient, wird die im Original doch sehr vielschichtige Handlung mit sehr genau beschriebenen Schauplätzen spannungs- und höhepunktlos abgespult. Die unheimliche Atmosphäre der Szenen am Teich beispielsweise verpufft so natürlich, bzw. stellt sich erst gar nicht her. Am Ende sitzt die tote Marie ebenso wie Wozzeck an einem weiß gedeckten Tisch. Ihr Knabe singt zwar „Hopp, hopp“, aber das hier vorgesehene Steckenpferd ist nicht vorhanden.

Es verwundert nicht, dass es unter diesen Vorzeichen auch Donald Runnicles und seinem Orchester nicht gelingt, so etwas wie Spannung oder Dichte der Atmosphäre herzustellen. Diese Aufführung ist ein gutes Beispiel dafür, wie eine unsensible und falsch konzipierte Regie ein Werk geradezu zerstören kann. Selten hat man einen Wozzeck so kurz, so belanglos empfunden. Nach 90 Minuten ist alles vorbei, aber das Berg’sche Meisterwerk hat man nicht wirklich zu sehen und zu hören bekommen. Ein schon bei der ersten Reprise halb leeres Haus scheint die Quittung für diese schwache Produktion zu sein.

Deutsche Oper Berlin, 10.Oktober 2018
Alban Berg, Wozzeck

Zuierst erschienen bei www.klassik-begeistert.de

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