Medea in Berlin: Frauen am Rande des Nervenzusammenbruches

Medea in Berlin: Frauen am Rande des Nervenzusammenbruches
© Bernd Uhlig

Für die Neuproduktion von Cherubinis Meisterwerk wählte Daniel Barenboim  eine Fassung, die weitgehend dem Original von 1797 in französischer Sprache mit gesprochenen Dialogen entspricht. Diese ist gegenüber der späteren italienischen Fassung, in der Maria Callas eine ihrer Glanzrollen fand, erheblich spröder und dramaturgisch heikler.

Die Regisseurin Andrea Breth siedelt diese düstere antike Tragödie in nicht näher definierten kahlen Räumen mit weißen Wänden an, teilweise geöffnete Kisten und Verpackungsmaterial legen eine Lagerhalle, eventuell eine Zollstation nahe. Eines ist die Dekoration in jedem Fall: hässlich und für die Augen des Zuschauers ermüdend, die dieses Ambiente über zwei Stunden ertragen müssen. Im Laufe der Handlung begeben sich die handelnden Personen schon einmal auch in angrenzende Räume, die sich aber in nichts voneinander unterscheiden. Interaktionen finden seltsamerweise bevorzugt in Ecken oder an exponierten Stellen des Bühnenbildes statt.

Medea ist durch das heute ja schon verpönte blackfacing als eine ethnisch Fremde gebrandmarkt, entsprechend sind ihre Söhne Farbige. Dass ihr als einziges Kostüm eine Kreation, ähnlich einem Kartoffelsack, angetan wird, erhöht den ästhetischen Reiz der Produktion auch nicht unbedingt. Mit Ausnahme Dirces, die ein prunkvoll goldenes Kleid tragen darf, treten alle Figuren in Straßenkleidung der Gegenwart auf.

Während der ersten beiden Akte schleppt sich die Handlung optisch etwas mühsam durch die Tristesse der Lagerhäuser, erst mit der Zuspitzung der Handlung setzt sich auf einmal die Drehbühne in rasche Bewegung, Medea eilt während ihrer großen finalen Szene durch die immer gleichen Räume, was doch sehr nach vordergründigem Aktionismus aussieht. Ein paar brennende Kisten sind der absolute optische Höhepunkt des Abends. Man fragt sich, was eigentlich aus der großartigen Regisseurin Andrea Breth geworden ist, von der man sich erheblich mehr als diese halb gar- eindimensionale Inszenierung erwartet hätte.

Die Protagonisten hatten es unter den gegebenen Umständen nicht gerade leicht, sich zu profilieren. Die Amme Neris wird von Marina Prudenskaya unauffällig gespielt, aber umso eindringlicher mit satt strömendem Mezzosopran gesungen. Weniger ansprechend ist die Leistung von Elsa Dreisig als Dirce. Die junge Sängerin verfügt zwar über ein ansprechendes Timbre, in ihrer großen Arie gerät ihr Sopran allerdings deutlich an seine Grenzen- und darüber hinaus. Da klingen einige Töne doch unangenehm schrill. Iain Paterson als Creon bleibt mit seinem voll strömenden Bass auf der Habenseite des Abends, allerdings verfügt die Stimme nicht über allzuviel Farbe, so bleibt die Figur ein wenig eindimensional.

Der Tenor Charles Castronovo setzt als Jason seinen kräftigen Tenor gekonnt ein, nach etwas gaumig-hauchigem Beginn singt er sich im Verlauf des Abends zunehmend frei. Insgesamt eine ausgereifte, auch darstellerisch überzeugende Leistung.

Sonya Yoncheva gibt mit der Medea ein Rollendebüt und setzt damit einen weiteren Fuß ins dramatische Fach. Die Stimme ist hörbar groß geworden, erinnert in manchen Augenblicken sogar an das Timbre von Maria Callas, allerdings eher an die späte, bereits sehr gefährdete Callas. Yoncheva fehlt es nicht an der Kraft für die großen Bögen und Ausbrüche dieser Partie, aber in den exponierten Lagen gerät die Stimme doch etwas aus dem Fokus, da macht sich  ein gefährlich starkes Vibrato bemerkbar, einzelne Töne geraten dann eher unschön. Rollen dieses Kalibers sollte die Sängerin vielleicht nur in sparsamen Dosen singen.

Benachteiligt ist Yoncheva von der Regie. Andrea Breth fällt zu dieser Figur nicht mehr ein, als eine permanent augenrollende, auf und ab laufende, dunkel geschminkte Figur im bereits erwähnten Kartoffelsack. Das trägt keinen Abend.

Daniel Barenboim und die Staatskapelle begleiten sensibel und mit gutem Gespür für diese komplexe Partitur. Den Spannungsbogen permanent zu halten, gelingt allerdings nicht ganz, die ersten beiden Akte dauern ohne Pause nahezu zwei Stunden, da nimmt das nervöse Hüsteln im Publikum doch deutlich zu.

Am Ende dankt ein sichtbar bewegtes Publikum allen Beteiligten mit langem Applaus, speziell Sonya Yoncheva und Daniel Barenboim werden begeistert gefeiert. Leider ist es eine von jenen Produktionen, die man sich besser von einem Hörerplatz aus angehört hätte.

Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 12. Oktober 2018
Luigi Cherubini, Medea (Médée)

Zuerst erschienen bei www.klassik-begeistert.de

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