Eigentlich sollte diese erste Rameau-Aufführung an der Staatsoper Unter den Linden nach Jahrhunderten der krönende Höhepunkt der diesjährigen Barocktage werden. Dass sie stattdessen zu einem Ärgernis geriet, hat mehrere Ursachen.
Das späte Werk des Komponisten ist in seiner musikalischen Sprache erheblich spröder als die meisten Opern seiner Zeit. Rameaus Harmonien strömen nicht so leicht dahin, erfordern ein hohes Maß an Konzentration, auch vom Zuhörer. Die Dramaturgie der Handlung ist problematisch, es gibt praktisch keine Aktion auf der Bühne, das Drama findet lediglich in den Texten der Arien statt. Alles Vorgaben, die für die Inszenierung eine große Herausforderung darstellen.
Was aber Aletta Collins als Regisseurin und Choreographin, Olafur Eliasson als Bühnen-und Kostümbildner, auch Lichtgestalter, auf die ehrwürdigen Bretter der Lindenoper stellen, ist mit dilettantisch noch freundlich beschrieben. So etwas wie Personenregie findet nicht statt, bei allen passenden – und auch unpassenden – Gelegenheiten flüchtet sich Collins in eine Choreographie, die von ihrem Anspruch bestenfalls als Bewegungstherapie für Senioren durchgeht. Die wenig beneidenswerten Sänger singen an der Rampe entlang, gewandet in obskure Scheußlichkeiten, die zum Teil mit reflektierenden Elementen besetzt sind, was zu einer permanenten Blendung des Publikums führt.
Die Lichtgestaltung ist überhaupt der größte Minuspunkt der Aufführung. Ohne erkennbaren Sinn werden immer wieder Laserblitze ins Publikum geworfen, einzelne Sänger müssen Beleuchtungskörper mit sich herumtragen, an Flak-Scheinwerfer gemahnende Spots irritieren Darsteller wie Publikum, ebenfalls völlig unmotiviert wird künstlicher Nebel erzeugt, der die Sicht auf die durchgehend nur dämmrig beleuchtete Bühne zusätzlich erschwert. Plötzlich schwebt eine riesige Disco-Kugel von der Decke – selbst die Chorsänger werden Teil der Lichtregie, weil sie Kopfbedeckungen mit Spiegeln tragen, die ebenfalls Licht reflektieren und das optische Chaos der blitzenden, blinkenden und vor allem empfindliche Augen blendenden Effekte noch grotesk verstärken. Was vielleicht als Kontrapunkt zum gegenwärtig herrschenden Novembergrau gedacht war, ist vollständig aus dem Ruder gelaufen.
Mit der Hypothek einer solchen Optik hat es der musikalische Teil der Aufführung auch nicht gerade leicht, zu überzeugen. Am Pult des gastierenden Freiburger Barockorchesters steht Sir Simon Rattle, dem man bisher keine allzu große Affinität zur Barockmusik nachsagen konnte. Das höchst homogen und konzentriert aufspielende Orchester hat sich von jeher auf Musik dieser Zeit spezialisiert und wird diesen Ansprüchen auch voll gerecht.
Überaus dankbar sind die Gesangsrollen in dieser Oper nicht. Anders als bei Händel, der seinen Sängern prachtvoll ausgezierte Arien bescherte, setzt Rameau mehr auf Innigkeit und Liebe zum Detail. Diese Musik erfordert einen eigenen Stimmtypus, dem die Sänger dieser Produktion nur sehr eingeschränkt entsprechen. Magdalena Kozena als Phedre und Anna Prohaska als Aricie geben ihr Bestes, stehen aber letztlich doch etwas neben ihren Rollen. Gyula Orendt, Roman Trekel und (der indisponiert Angesagte) Peter Rose sind für die tiefer liegenden Partien zuständig, wobei es keinem gelingt, sich sonderlich zu profilieren. Einzig der Hippolyte von Reinoud Van Mechelen kann mit seinem hellen und frischen Tenor überzeugen.
Es ist gut möglich, dass das Werk in einer etwas professionelleren Regie und Optik überzeugender gewirkt hätte, aber diese Chance wurde verspielt.
Am Ende trotzdem herzlicher Applaus, nur für die Regie kräftige, verdiente Buh-Rufe.
Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 25. November 2018
Jean Philippe Rameau, Hippolyte et Aricie
Zuerst erschienen bei www.klassik-begeistert.de