Freude fürs Ohr, Ärger fürs Auge – Christian Thielemann dirigiert „Ariadne auf Naxos“ in der Dresdener Semperoper

Freude fürs Ohr, Ärger fürs Auge – Christian Thielemann dirigiert „Ariadne auf Naxos“ in der Dresdener Semperoper
© Ludwig Olah

Dresden – Richard Strauss – Semperoper, das ist nach wie vor ein Dreiklang, der hohe Erwartungen weckt. Besonders dann, wenn der aktuelle Generalmusikdirektor am Pult der Sächsischen Staatskapelle steht, um diese Neuproduktion zu dirigieren.

Von den ersten Takten des Vorspiels an stellt sich der Zauber dieser bemerkenswerten Partitur ein, die im Bühnenwerk von Richard Strauss eine Sonderstellung einnimmt. Bietet der Komponist sonst ein rekordverdächtig großes Orchester auf, sind es in der Ariadne gerade einmal 38 Musiker, die dank Strauss‘ genialer Instrumentierung zumal im Finale ein unglaubliches Volumen erreichen. Erst im zweiten Anlauf ist dieses Werk zu einem Welterfolg geworden, die ursprüngliche Koppelung mit dem Sprechstück „Der Bürger als Edelmann“ von Moliere erwies sich als problematisch. Hofmannsthal schrieb darauf hin ein Vorspiel als Rahmenhandlung, das zu den witzigsten und pointiertesten Schöpfungen des Dichters zählt. Der Theater-auf-dem-Theater-Effekt stellt eine sehr stimmige Einführung in den Ablauf der eigentlichen Oper dar.

Für die Regie zeichnet David Hermann verantwortlich, der diese Inszenierung bereits an der Oper von Nancy gezeigt hatte. Für das Vorspiel hat ihm sein Bühnenbildner Paul Zoller lediglich eine weiße Wand mit drei Türen geschaffen. Schon denkt man an das Slapstick-Potential dieser Szenerie, wird aber herb enttäuscht. Hermann nutzt diese Steilvorlage nicht, die Protagonisten huschen an der Rampe entlang, Interaktionen finden praktisch nicht statt. Jede Figur gerinnt dem Regisseur sogleich zum Klischee. Sei es der Komponist, der hier als Karrierefrau im Hosenanzug mit Stöckelschuhen stilisiert wird, sei es Zerbinetta, die als schlichte Blondine in einer Art missglücktem Dirndl auftritt, Tanzmeister und Friseur müssen natürlich schwul sein und das betreffende Klischee bedienen, Tenor und Primadonna ringen hauptsächlich die Hände, der Rest des Personals ist mausgrau gewandet und gewinnt auch sonst nicht an Farbe oder gar Profil. Der Höhepunkt des Vorspiels, die aufblitzende Beziehung zwischen Komponist und Zerbinetta wird verschenkt, Zerbinetta verschwindet nur kurz hinter einer Tür, um sogleich aus einer anderen wieder aufzutauchen.

Ist das Vorspiel noch von einer Kargheit der Szenerie und der Regieeinfälle bestimmt, verfällt Hermann in der eigentlichen Oper in das extreme Gegenteil. Er schüttet geradezu ein Füllhorn voller Ideen über die Handlung aus, die alle leider arg vordergründig und nicht stimmig sind, und von denen jede einzelne das Auge kränkt. Wie der im Vorspiel zitierte reiche Mann aus Wien, dem die wüste Insel nicht genügend ausgestattet ist, erzeugt Hermann einen Overkill an Personal und im Libretto so nicht vorgesehener Aktionen. Da sind auf einmal wieder Personen des Vorspiels auf der Bühne, Najade, Dryade und Echo gehen seltsame Beziehungen zu Zerbinettas Truppe ein. Das zweigeteilte Bühnenbild, einmal Blumenwiese a la Fragonard (natürlich mit Schaukel!) und als Gegenstück griechische

Tragödie in Schwarz-Braun. Elektra lässt tatsächlich grüßen, kurz ist Ariadne mit deren Beil zu sehen, die drei Nymphen scheuern die Treppenstufen. Das ist unsinniges Bildungsbürgertum-Quiz, mehr nicht. Aber damit noch nicht genug: gegen Ende wird sogar die Zauberin Circe in Gestalt einer Tänzerin eingeführt, während ihres Tanzes verwandelt sie Zerbinettas Begleiter in Tiere, obwohl diese an jenem Punkt der Handlung nicht mehr auf der Bühne sein sollten. Den Clou spart sich Hermann aber für das Finale auf: eine Gruppe protziger Neureicher, die man zuvor schon im Pausenfoyer tafeln sah, stürmt Selfie-schießend die Bühne und zerstört so den Zauber der Schlussapotheose, indem sie den genervten Tenor vertreibt.

Dass die Aufführung mit dieser Hypothek doch noch ein großer Abend wurde, ist einzig Christian Thielemann und seinen Sängern zu danken.

Die kurzfristig eingesprungene Claudia Mahnke als Komponist erobert das Haus im Sturm. Ihr in allen Lagen sicherer Mezzosopran meistert mühelos die Tücken dieser Partie und hinterlässt einen starken Eindruck. Auch Albert Dohmen kann als Musiklehrer überzeugen, er verfügt nach wie vor über das nötige Volumen und Profil für diese Rolle. Aaron Pegram als Tanzmeister setzt gekonnt die tenoralen Akzente seiner Partie. Die Besetzung des Haushofmeisters mit dem Österreicher Alexander Pereira, der in höchsten Positionen der Opernwelt zu Hause ist, verleiht der Aufführung einen Hauch österreichischen Lokalkolorits.

Die Zerbinetta Daniela Fallys hat am meisten unter der mangelhaften Personenregie Hermanns zu leiden. Bei aller stimmlichen Agilität und Virtuosität der Koloraturen vermisst man den Comedia-del-Arte-Effekt dieser Figur. Da ist nichts quirliges, keine Raffinesse im Spiel.

Krassimira Stoyanova ist Ariadn, und erweckt diese Rolle trotz aller Statik in der Aktion zu einem wahrhaft blühenden musikalischen Leben. Ihr gelingt jede Phrase, jeder exponierte Ton. Die Stimme scheint dunkler, wärmer geworden zu sein und ist bombensicher in allen Lagen. Ihr zur Seite der Bacchus des Stephen Gould, der mit ungebrochener Stärke vokale Kraft demonstriert, aber sehr wohl auch zu Zwischentönen fähig ist.

Die Damen Evelin Novak, Simone Schröder und Tuuli Takala als Najade, Dryade und Echo lassen durchwegs schöne Töne hören. Ähnliches gilt für die Begleiter Zerbinettas, Joseph Dennis, Carlos Osuna und Torben Jürgens. Der Harlekin von Rafael Fingerlos lässt aufhorchen, und empfiehlt sich für größere Aufgaben.

Christian Thielemann führt „seine“ Staatskapelle einmal mehr zu einem Triumph. Diesen Strauss, der dem Orchester in die DNA geschrieben scheint, spielt den Dresdnern so schnell keiner nach!

Semperoper Dresden, 12. Dezember 2018
Christian Thielemann Dirigent
Richard Strauss
Ariadne auf Naxos

zuerst erschienen bei www.klassik-begeistert.de

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