So machen’s nicht Alle: Ein Künstlergespräch mit Bariton Georg Nigl

So machen’s nicht Alle: Ein Künstlergespräch mit Bariton Georg Nigl

Georg Nigl, Foto: Anita Schmid ©

Aix-en-Provence im Juli, Ort der jährlichen Musikfestspiele, die in diesem Jahr ihren 75. Sommer erleben. Damals wie heute stand Mozarts „Così fan tutte“ auf dem Programm. In diesem Jahr hat Dmitri Tcherniakov das zynische Stück inszeniert, der Bariton Georg Nigl gibt den altersweisen Philosophen Don Alfonso, der in Tcherniakovs Lesart aber weniger weise, sondern eher der diabolische Spielmacher ist. Am Abend vor unserem Treffen habe ich eine der Aufführungen im barocken Hof des Erzbischöflichen Palais besucht, trotz der kaum erträglichen Hitze von annähernd 40 Grad hat sich Georg Nigl zu einem Gespräch bereit erklärt, in dem er viel über sein künstlerisches Credo verrät.

Peter Sommeregger führte das Gespräch mit Georg Nigl am 12. Juli 2023 in Aix-en-Provence. 

klassik-begeistert: Ganz am Anfang Ihrer Karriere, noch als Sängerknabe, haben Sie den Bastien von Mozart, auch für eine Schallplattenaufnahme gesungen. Aktuell singen Sie den weisen Philosophen Alfonso in „Così fan tutte“. Schließt sich da ein Kreis für Sie?

Georg Nigl: Den Bastien sollte ich eigentlich nicht singen, weil ich meistens die Sopran-Partien gesungen habe, aber der war für die Plattenaufnahme schon besetzt und ich habe dann den Altus übernommen.

Aber es schließt sich da auf andere Weise ein Kreis:

Ich habe im Alter von ungefähr 20 Jahren Nikolaus Harnoncourt vorgesungen. Nur ein paar Takte, da hat er bereits abgebrochen und meinte: „Der weiß, was er singt, den nehm’ ma!“ und mir noch auf den Weg mitgegeben: „Sie werden einmal ein großartiger Don Alfonso“ – zuerst war ich völlig schockiert, weil ich dachte „Was mache ich jetzt die nächsten 30 Jahre?“, aber dann hat sich etwas Erstaunliches ergeben. Ich habe Thomas Hengelbrock kennengelernt, wir sollten zusammen „L’Orfeo“ von Monteverdi machen, das wurde aber abgesagt und daraus wurde eine Così und ich habe mit 26 Jahren als erste meiner Mozart-Partien den Don Alfonso gesungen.

Harnoncourt hat ja vor seinem Tod noch einmal den Da Ponte-Zyklus gemacht und wollte die Rezitative einmal so interpretiert wissen, wie er meinte, dass sie gemacht gehören. Ich weiß nicht, ob ihm das gänzlich gelungen ist. Harnoncourt hat oft mit teilweise großartigen Metaphern gearbeitet. Man darf vor allem nicht vergessen, dass wir alle die gängigen Aufnahmen und Aufführungen kennen und es eben nicht leicht ist, sich davon frei zu machen.

Wenn mir beispielsweise Harnoncourt sagte, Sie müssen singen wie Sinatra, dann konnte man das so verstehen, dass er das quasi rhythmisch freie Singen meint, von dem ja die einschlägigen Werke der Interpretationkunst auch oft sprechen, also beispielsweise das Tempo rubato, aber ich glaube, das war nicht der einzige Punkt, den er meinte.

Sinatra hat ja in seinen Anfängen auch in diversen Clubs gesungen, vergleichbar mit der Grösse eines Salons des 18. und 19. Jahrhunderts, zusätzlich aber auch da dann verstärkt. Er spielte mit den Möglichkeiten des Mikrofons. Ich glaube, diese unverwechselbare Nähe, die wir bei Sinatra so schätzen, ist die Kunst nicht für einen großen Saal zu singen, sondern quasi für den einzelnen Zuhörer. Dadurch entsteht eine unabdingbare Intimität. Das ist zwar schwer in einem Opernhaus zu machen, aber daran zu denken hilft, so meine ich, ungemein. Es heißt: Sing nicht für alle. Bob Wilson hat mit das auch einmal gesagt: „ Don’t act for all in the same moment, act for one and the other!“

Aus Briefen Mozarts an seinen Vater wissen wir, dass er sich die Rezitative gesprochen wünschte wie bei einem Melodram und nur bei wichtigen Stellen gesungen. Davon sprach auch Harnoncourt bei seinem Vorhaben und das versuche ich nun hier bei den Aufführungen in Aix-en-Provence. Ein Wagnis, aber wie ich meine, notwendig und richtig, denn ein Wunsch Mozarts!

klassik-begeistert: Stand für Sie auch nach dem Stimmbruch fest, eine Sängerkarriere anzustreben?

Georg Nigl: Ich wusste schon vor den Wiener Sängerknaben, dass ich Sänger werden will. Ich habe das schon mit vier Jahren gesagt. Mein Vater, der Schneider war, hat die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Wir haben sehr nahe beim Augarten-Palais gewohnt, der Schule und Internat der Sängerknaben. Ich bin mit meiner Mutter oft durch die angrenzende Parkanlage zum Einkaufen gegangen und da konnte man, wenn die Fenster der Probenräume geöffnet waren, die Buben singen hören. Da habe ich gesagt „Da will ich auch singen!“ Es hat sich dann so ergeben und ich habe wahnsinnig gern gesungen, ich singe noch immer gern, es ist einer der schönsten Zustände, die ich kenne. Ich habe dann zeitweise ein Fach gesungen, das es so eigentlich nicht gibt, sehr viel Zeitgenössisches und alte Musik.

klassik-begeistert: Regisseur dieser Aufführung ist Dmitri Tcherniakov. Sie haben mit ihm schon beim Wozzeck am Bolschoi-Theater gearbeitet. Gab es dazwischen noch andere Projekte mit ihm?

Georg Nigl: Mit Tcherniakov habe ich seit dem Wozzeck in Moskau nicht mehr zusammen gearbeitet. Wir haben uns immer wieder einmal gesehen und er hat gesagt, dass er Così machen möchte und ich, dass mich das interessieren würde.

Man kann diese Così-Produktion vielleicht zutiefst ablehnen, und meinen, wir hätten das gemeinsam ausgekocht. Aber da ist nur ganz wenig von mir, wir Sänger wussten ja auch lange nicht, wie das Finale sein würde, das Geheimnis wurde erst ganz zum Schluss gelüftet. Damit hat er uns ermöglicht, selbst den inneren Prozess der Rolle zu suchen, aber ich kann Ihnen verraten: Ich habe mich oft nach den Proben auf dem Heimweg mit meiner Despina, der wunderbaren Nicole Chevalier beraten, und wir haben über unsere Rollen gesprochen. Wir wussten z.B. nicht, und das hat er uns auch nicht gesagt, warum wir so zerstörte Menschen in der Oper sind. Das ist für jemand, der das Spiel spielen muss, nicht einfach. Ich glaube, wir haben den Twist dann recht gut hinbekommen, aber warum sie mich zum Ende erschießt, wissen wir eigentlich beide nicht. Letzten Endes muss man aber zur Kenntnis nehmen, der Mann kann schon was und will eben seine Sicht auf das Stück erzählen.

Man kann bei Proben ganz allgemein manchmal vielleicht sagen, das finde ich jetzt nicht richtig, können wir es nicht anders versuchen, aber das hängt auch oft von der Situation und der Bereitschaft ab. Hier war das vor allem Tcherniakovs Vision. Es ist ja auch in einer Probenzeit relativ begrenzt. Regie, die erst auf der Probe entstehen soll, wie am Sprechtheater, kann in der Oper à la longue nicht funktionieren, auch wenn man sich das wünschen würde. Es ist einfach nicht die Zeit und hinten hinaus, also zur Premiere müssten sich die SängerInnen und vor allem das Organ Stimme schonen, was da heutzutage oft passiert, kann ich nur mehr crazy nennen.

klassik-begeistert: Nicht nur Tcherniakov geht in seinen Inszenierungen oft an Grenzen. In der Lenz-Inszenierung von Andrea Breth mussten Sie über weite Strecken mit heruntergelassener Hose agieren. Gibt es für den Sänger Georg Nigl eine Grenze des Zumutbaren, jenseits derer Sie sich verweigern?

Georg Nigl: Einmal hab ich wirklich hingeschmissen, das war sechs Wochen vor Probenbeginn an der Scala „Quartetto“ von Francesconi , ich habe damals keine Möglichkeit gesehen, die Rolle des Valmont so zu spielen, wie ich es für richtig gehalten habe, das hat man mir damals sehr übel genommen. Ich wusste, es ist eine Grenzpartie, viel zu hoch, und das wird nur eine Schreierei. Das wollte ich nicht, weil ich von meinem Valmont eine vollkommen andere Vorstellung hatte und ich bin ausgestiegen, es kam auch noch dazu, dass ich Vater wurde in der Zeit. Das war ein Bruch, man hat mich nie mehr engagiert. Bei Breth war das gänzlich anders, bei ihr habe ich nie irgendetwas gemacht, dass nicht absolut klar und besprochen war. Ich wüsste auch gar nicht was an einem Nigl mit herabgelassener Hose interessant sein könnte.

klassik-begeistert: Es wird viel über die Zukunft der Oper diskutiert. Wo sehen Sie die Oper heute?

Georg Nigl: Wenn heute hauptsächlich Regisseure zur Zukunft der Oper befragt werden, so muss man zur Kenntnis nehmen: vor zweihundert Jahren gab es in der heutigen Form, keine Orchester, keine Dirigenten, keine Regisseure, es gab vor allem Komponisten und Interpreten. Ist deshalb die Regie, heute die Antwort auf diese Kunstform? Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass es auch schwer ist, über Musik, das Gehörte wirklich kenntnisreich zu schreiben. Wir lesen in den Rezensionen, hauptsächlich über das Gezeigte.

Wir leben im Zeitalter des Sehens, jeder schaut unentwegt auf sein „Telefon“ – wir sind vernetzt! Aber ich fürchte, dass wir immer mehr die Verbindung des Sehens und Hörens verlernen.

Erst unlängst hörte ich, wie eine Dame meinte, sie mache die Augen in der Oper zu. Ich finde es traurig, wenn das Leute sagen, das will ich nicht. Ich liebe das Gesamtkunstwerk Oper, aber wir erzählen immer häufiger unsere Geschichten, ohne die Musik oder das Libretto wirklich ernst zu nehmen. Wir tun, als wäre alles bereits erzählt. Das kann man das ein oder andere Mal machen, aber wir sollten es uns nicht zu leicht machen und quasi gegen das Stück agieren. An einem Opernabend muss so viel zusammenspielen, das bindende Glied ist die gemeinsame Aufgabe, aber eben in dem Gemeinsam liegt für mich der Schlüssel. Es ist eine gemeinsame Arbeit von vielen Gewerken und, auch wenn es den Einen oder die Eine geben wird, die sagt was er/sie auf der Szene will, kann es eben nur ein – wenn auch, wichtiger Aspekt bleiben.

Ich erwarte mir beispielsweise von meinem Regisseur, dass er zumindest so viel weiß, wie ich über meine Rolle. Es gibt da eine Geschichte, der Peymann hat gesagt, wir haben uns immer gefürchtet vor dem Voss bei der ersten Probe, weil der immer mehr gewusst hat als wir. Das ist für mich der Richtwert. Ich gehe nicht in eine Produktion hinein ohne zu wissen, was meine Rolle ist, wer ich bin. Ich bin nicht der Typ Sänger, der nur seine Notenlinie kennt. Ich bin schon aber auch immer der Diener meines Regisseurs und meines Dirigenten, ob ich innerlich und inhaltlich damit übereinstimme, ist etwas Anderes. Aber ich habe ein großes Problem, wenn dauernd über Film oder Serien als Richtwert der Regie bei den Proben gesprochen wird. Da kann ich auch ungemütlich werden, mich interessiert der Film in dieser speziellen Situation nur sehr bedingt, ganz einfach weil der Film immer Vergangenheit ist, das Theater ist aber das Jetzt.

Ich schwitze auf der Bühne jetzt. Wenn jemand Serie oder Film machen möchte, bitte gern geschehen, soll er es schreiben oder eben machen, aber Theater kann eben und muss was anderes. Auch das Singen ist eine Ausdrucksform mit der man umgehen muss. Ich verlange von einem Regieteam nicht, dass sie die Noten lesen können, aber sie müssen verstehen was es bedeutet zu singen und im besten Falle auch, was es körperlich heisst. Wenn wir aber nicht Rücksicht aufeinander nehmen und gemeinsam für die Sache einstehen, können wir auch nicht gemeinsam wirken. Oper ist keine Ego-Aktion, war sie nie und wird sie auch nie sein können. Was will der Dirigent ohne Orchester und Sänger? Da kann er auch in der Badewanne dirigieren. Oder der angebliche Star, ohne dem Chor, seiner Maske und Kostüm und all den anderen Menschen die bei einer Aufführung mitwirken. Kurzum, keiner von uns ist ein Primärkünstler, außer der Komponist und Librettist und ich bin sicher, so lange die Leute Geschichten erzählt haben wollen, wird das Theater und die Oper kein Problem haben.

klassik-begeistert: Sie sind Wiener, die Wiener Staatsoper hat Sie aber erst reichlich spät „entdeckt“. Ihre Rollen an dem Haus wechseln von der Moderne (Trojahn, demnächst Ligeti) zu Monteverdi, dazwischen der Eisenstein und der Papageno.

Georg Nigl: Nach zwei Einladungen während der Direktion von Dominik Meyer, verdanke ich nun eine große Aufmerksamkeit Direktor Bogdan Roščić. Für mich ist das schön und eine große Auszeichnung, weil ich ja sonst immer weg war und ich seine inhaltliche Ausrichtung verstehe. Jetzt steige ich auch noch in den D-Wagen und bin bei der Oper. Wien ist für mich aber nicht nur deshalb ein anderes Pflaster, trotz vieler und schöner Erfolge im Ausland.

klassik-begeistert: Kürzlich sangen Sie unter Simon Rattle den Alberich in „Siegfried“. Werden Sie alle drei Alberich-Rollen in ihr Repertoire übernehmen?

Georg Nigl: Mit dem Alberich hab ich es mir nicht leicht gemacht. Als ich die Rolle kannte, habe ich mir viele Kollegen angehört. Wirklich alle, die ich finden konnte und ich war einigermaßen überrascht. Ich hatte beim Lesen Wagners für mich festgestellt, dass der Alberich nicht nur der Kontrahent von Wotan ist, sondern eine phänomenale Studie eines selbsthassenden und destruktiven Mannes. In der Siegfried-Szene wartet der Typ im Gatsch vor der Höhle und ärgert sich Tag und Nacht. Er ärgert sich über sich selbst, und das habe ich so nicht bei den Aufnahmen hören können. Da schien es zwar, als würde die Bude zusammen gebrüllt, aber weswegen?

Das Großartige für mich am Alberich aber in dieser Szene ist, dass er sich selbst hasst für die Blödheit, dass er sich vom Wotan, so verarschen hat lassen. Da wird es menschlich, und da hat es etwas mit uns zu tun. Das ist großartig gemacht von Wagner, aber ich finde eben, man sollte sich da als Interpret nicht nur auf die Emphase der Musik verlassen, sondern auch auf den Text und die Situation.

klassik-begeistert: Bleiben wir bei Wagner. Kämen für Sie noch weitere Wagner- Partien in Frage? Vielleicht der Telramund, der zwar kein Sympathieträger ist, aber doch eine interessante Rolle?

Georg Nigl: Von Wagner kann ich mir noch gut den Beckmesser, auch den Klingsor vorstellen, aber ich bin bei Wagner noch ein Eleve. Ich würde auch gerne den Amfortas singen, aber den kriege ich wahrscheinlich nicht, weil ich nicht so als Schönsänger gehandelt werde.

klassik-begeistert: Sie haben viele zeitgenössische Komponisten gesungen, John Adams, Olga Neuwirth, Xenakis,Uraufführungen von Beat Furrer, Pascal Dusapin und nicht zuletzt von Wolfgang Rihm, der Ihnen auch den Liederzyklus „Vermischter Traum“ gewidmet hat.

Georg Nigl: Es ist ein sehr langer Weg gewesen. Ich war durch die Sängerknaben hauptsächlich mit Musik der Wiener Klassik und Romantik in Kontakt gekommen. Ich war dann mit 18,19 ein extrem suchender Mensch.

Habe viel Literatur und Gedichte gelesen und war ein sehr romantisch denkender Mensch. Ich bin dann zur Zadek gekommen, und habe bei ihrem Meisterkurs „Lieder eines fahrenden Gesellen“ gesungen. Sie sagte „Georg, Sie können wirklich ein Künstler werden und nicht nur Sänger, aber Sie erleben viel zu viel während des Singens. Sie müssen aufpassen, dass Sie nicht so viel erleben, sonst erleben wir unten gar nichts.“ Sie hat mir dann ein schönes Bild gesagt: „Du musst der Projektor sein, und das Publikum unten die Leinwand“. Und dann entstand eine Entwicklung die sicher ihre 20 Jahre gebraucht hat, aber dadurch, dass ich es dann oft anders gemacht habe, als gewohnt oder erwartet, wurde ich auch oft strenger kritisiert.

Man hat mich zum Teil echt hingerichtet, da hat mich dann zum Teil die neue Musik gerettet, da konnte man nicht vergleichen. Das kannte man ja noch nicht. Aber wenn beispielsweise der Zuhörer meint, er würde von mir bei einem Liederabend eine Lieddarstellung bekommen, wie er sie aus Funk und Fernsehen kennt, dann wird er bei mir nicht glücklich werden. Weil ich schon früh mit dem Urtext gearbeitet habe, was Harnoncourt von mir verlangt hatte. Er hat mir gesagt: „Herr Nigl, Sie müssen sich immer ein eigenes Bild machen.“ Das war eine Initialzündung. Ich bin dann in die Bibliotheken gegangen, habe mir die Handschriften angesehen und nachgeschaut, was da drinnen steht. Gerade bei Schubert! Manche sehr gängigen Editionen kann man eigentlich nur verbrennen, sie strotzen vor Fehlern, aber viele berühmte Aufnahmen wurden eben mit diesen Noten gemacht und die Leute glauben jetzt wegen dieser Lieblingsplatte, dass es eben so gehört. Aber wie gehört denn überhaupt etwas ?

Für das Aufspüren von Details habe ich schon immer eine Begabung gehabt, da werde ich zum Trüffelschwein. Und was ich auch früh verstanden habe: der Text ist immer vor der Musik, immer. Daher mein großes Interesse an der Redekunst, was ich heute darüber weiß, da waren die Komponisten meine Lehrmeister, ich spreche die Texte immer zuerst für mich. Wie es ja meistens die Komponisten auch taten. Beschreibt zum Beispiel Brahms!

Was aber heute quasi verschwunden ist, ist das so genannte Pathos-Sprechen, heute sprechen die Schauspieler ja nur mehr im Quintumfang, wenn überhaupt. Das Sprechen am Theater, hat sich während des letzten Jahrhunderts von zwei Oktaven auf das heutige Theaterreden reduziert und vieles muss verstärkt werden, damit man es überhaupt hört. Hören Sie sich einen Attila Hörbiger als Jedermann an, der musste nicht verstärkt werden. Aber dieses Theatersprechen war den Komponisten damals so vertraut ! Da rede ich ja gar nicht über eine ästhetische Frage, sondern quasi über deren Alltag.

Wenn man aber einen Text einmal so rezitiert, da ist man dann auf einmal nicht weit von Schönberg, Pierrot Lunaire, dann ganz nahe beim Rezitativ und dann ganz nahe bei Monteverdi und alles was dazwischen liegt. Man hat auf einmal ein Oeuvre, das die Möglichkeit gibt, inhaltlich mit einer Farbe zu arbeiten, die dem Singen schon ganz nahe, aber eben noch nicht Singen ist. Die Frage, die sich mir dann immer stellt ist, warum singe ich? Warum singt diese Rolle? Die könnte doch auch sprechen, oder sie könnte auch schweigen.

Da wird das ganze fast eine künstlerisch, philosophische Frage. Aber jetzt bin ich von der eigentlichen Frage abgeschweift. Ich singe zeitgenössische Musik, weil unsere Musik niemals Stillstand war. Es wurde immer Zeitgenössisches geschrieben und dem und mit dem wollte und muss ich mich auseinandersetzen, sonst könnte ich auch als Museumsaufsicht arbeiten. Kommt eh viel zu oft in unserem Metier vor.

klassik-begeistert: Ihre vor zwei Jahren veröffentlichte CD „Vanitas“ war sehr erfolgreich und wurde auch mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet. In diesem Frühjahr erschien mit „Echo“ eine weitere CD, die Lieder von Schubert, Schumann, Hugo Wolf und Carl Loewe enthält.

Georg Nigl: Vanitas war wirklich ein riesiger Erfolg, hatte wunderbare Rezensionen und hat viele Preise gewonnen. Vielleicht werden diese CDs bleibende Dokumente sein und vielleicht gelingt es, neuen Sängergenerationen einen anderen Blick auf das Repertoire zu geben.

Beispielsweise Carl Loewe hat sich immer um die besten Wiener Fortepianos bemüht, es war sein Klangideal für seine Musik. Darum haben wir das so auf unserer Aufnahme gemacht. Gab’s aber so kaum davor! Versteh ich nicht. Wenn Sie zu einem Plattenlabel gehen und Hugo Wolf aufnehmen wollen, kann ihnen leicht passieren, dass alle die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, weil er sich angeblich nicht verkauft. Aber die Barenboim/Dieskau-Aufnahme der Mörike-Lieder gehört für mich zum Besten, was im 20. Jahrhundert aufgenommen wurde.

Ich weiss gar nicht, ob man die zur Zeit noch als CD kaufen kann, aber die Aufnahme ist als Stream jederzeit verfügbar. So komisch, dass anfänglich mit den Streams war und das ganze Plattengeschäft zu marginalisieren drohte, ist es für uns heute eine übliche Sache. Daher auch meine Hoffnung, dass unsere Aufnahmen weiterhin gehört werden. Außerdem möchte ich, solange ich es auf diesem Niveau machen kann, vieles ausprobieren, ich bin ein sehr neugieriger Mensch.

klassik-begeistert: Was an Ihren Interpretationen besonders besticht, ist die emotionale Intensität Ihres Vortrags. Man hat das Gefühl, Sie gäben gefährlich viel von Ihren innersten Emotionen preis. Wie schützt sich der Mensch Georg Nigl vor dem Künstler gleichen Namens?

Georg Nigl: Ich wüsste nicht, warum ich auf eine Bühne gehen sollte, wenn es nicht um die großen Dinge des Lebens ginge: Liebe, Tod, Hass, Eifersucht, Neid, alles das, was unsere Humanitas ausmacht. Und das ist das was mich antreibt, ich stelle mein Können, meine Stimme, meinen Intellekt zur Verfügung, um das hörbar zu machen.

Interpretieren heißt letztlich übersetzen. Wenn man die Werke der Komponisten und Literaten ernst nimmt, kann man gar nicht anders, als involviert sein. Mag sein, dass es so wirkt, als ob ich mich selbst dann total auf der Bühne einbringe. Ich versuche aber eigentlich nichts Anderes, als das, was ich zu interpretieren habe, so glaubhaft und unmittelbar zu übersetzen, wie es mir der Sache angebracht erscheint, aber das wirkliche involvieren, findet eigentlich nicht auf der Bühne statt, es ist die Arbeit an der Sache davor.

Wir danken sehr herzlich für das interessante Gespräch!

zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de

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