ISRAEL, der stets bedrohte Staat, ist eine selbstbewusste Demokratie

ISRAEL, der stets bedrohte Staat, ist eine selbstbewusste Demokratie

In diesen Tagen steht der Dauerkonflikt des Staates Israel mit den Palästinensern wieder im Fokus der aktuellen Nachrichten. Erneut eskaliert die Gewalt in dem seit seiner Gründung 1948 permanent von den Nachbarn bedrohten Staat. Nachdem aktuell gerade ein italienischer Tourist sein Leben verlor, ist man erleichtert, seine Israel-Reise vor ein paar Tagen beendet zu haben. Ich erinnere mich noch gut, dass in der ersten Nacht eines früheren Besuches in Tel Aviv Raketen auf die Stadt abgeschossen wurden. Es war eine Einstimmung darauf, dass der Frieden in dieser Region äußerst fragil ist.
Bewundernswert ist der Umgang der Menschen mit der permanenten Bedrohung. Zwar sind Soldaten und Soldatinnen in ihren beigen Uniformen sehr präsent im Stadtbild, aber ihre entspannte Fröhlichkeit lässt sie in keiner Weise martialisch wirken. Akribische Kontrollen auf Bahnhöfen und vor dem Betreten öffentlicher Gebäude sind eine Routine, die man gerne in Kauf nimmt, da sie einen ja auch selbst schützt.

Trotz seiner geringen Größe ist der Staat Israel reich an extremen Kontrasten. Tel Aviv ist eine boomende Metropole mit einem pulsierenden Leben, geprägt vom hier durchaus funktionierenden Neben- und Miteinander von Juden und Arabern. Das ehrwürdige Jerusalem strahlt eine gewisse distanzierte Strenge aus, das Stadtbild der modernen Viertel ist geprägt vom gelblichen so genannten Jerusalem-Stein, dessen Verwendung vorgeschrieben ist. Die Altstadt ist dominiert von Unmengen von Händlern, derer man sich kaum erwehren kann, Ruhe und Spiritualität findet man erst an der Klagemauer, einem für Juden heiligen Ort. In die Ritzen zwischen den Steinen, die einst die Grundmauer für König Davids zerstörten Tempel bildeten, kann man Zettel mit Wünschen stecken, an deren Erfüllung man allerdings glauben muss.

Auf dem Herzl-Berg, der seinen Namen vom Begründer des modernen Zionismus, Theodor Herzl, erhielt, dessen Leichnam der Staat Israel 1949 aus seiner Wiener Gruft nach Israel überführte, wo seine Grabstätte heute als nationales Monument dient, befinden sich auch die Ehrengräber der bisherigen israelischen Spitzenpolitiker, am westlichen Teil des Hügels befindet sich die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, deren Besuch eigentlich ein Pflicht-Programm sein sollte. Neben einer vorzüglich konzipierten Ausstellung über den Holocaust, die ganz ohne erhobenen Zeigefinger auskommt, befindet sich dort u.a. die Hall of Remembrance, in der mit einer ewigen Flamme der zahllosen Opfer in den namentlich genannten Konzentrationslagern gedacht wird. Für jeden Staatsgast Israels ist der Besuch dort Teil des Pflichtprogrammes, er sollte es auch speziell für deutsche Touristen sein. Berührend auch die Allee der Gerechten unter den Völkern, an der für jeden Menschen, der nachweislich einen oder mehrere Juden vor dem Holocaust rettete, ein Baum gepflanzt wurde, ein kleines Schild verrät den Namen dieses Menschen.

Hall of Remembrance

Tel Aviv ist die mit Abstand größte Stadt Israels, mit inzwischen über zwei Millionen Einwohnern. Einst Vorort des arabisch geprägten Jaffa, haben sich die Verhältnisse inzwischen gedreht. Aktuell entstehen in der Metropole mindestens fünfzig neue Hochhäuser, die Skyline der Stadt erinnert mehr und mehr an jene Manhattans. Optisch geprägt ist die Stadt aber immer noch von der Bauhaus-Architektur, die lange vor der Staatsgründung eingewanderte europäische Architekten erbauten, und die heute einen Bestand von etwa 40.000 denkmalgeschützten Häusern, die so genannte „Weiße Stadt“ umfasst.

Es gibt in Tel Aviv keine U-Bahn, der öffentliche Nahverkehr wird hauptsächlich durch eine kaum zu überblickende Zahl von Buslinien abgewickelt, da aber die Ziele und Haltestellen in allen drei Landessprachen, nämlich Hebräisch, Arabisch und Englisch lesbar sind, finden sich auch die zahlreichen Touristen nach einer Weile gut zurecht.

Schon bei meinem ersten Besuch in Tel Aviv war ich von der Vielseitigkeit der Stadt und ihrer Menschen begeistert. Als Deutscher ist man anfangs ängstlich, die Schatten der unglücklichen deutsch-jüdischen Geschichte könnten einen auf Ablehnung stoßen lassen, heute weiß ich, dass speziell junge Israelis durchaus deutschfreundlich sind, unser Land auch gerne besuchen. In Berlin gibt es sogar eine zahlreiche israelische Community.

Hatte ich bei meinem ersten Besuch nahe dem Dizengoff-Square gewohnt, einem runden, von Bauhaus-Gebäuden umrahmten Platz mit einem Brunnen, dessen zahlreiche Cafés ein beliebter Treffpunkt bevorzugt jüngerer Leute sind, so hatte ich diesmal ein Quartier im Viertel Florentin gefunden, das sich unübersehbar in einem starken Wandel befindet. Nahe dem Zentrum des alten Jaffa gelegen, werden die flachen ebenerdigen Bauten mehr und mehr durch elegante Apartmenthäuser verdrängt, gegenüber meines Zimmers konnte ich ein 40-stöckiges Hochhaus bewundern, dessen Wohnungen mit Meerblick mit Sicherheit dem Luxussegment angehören. Zahlreiche kleine Lokale und Imbisse mit Streetfood sorgen für das leibliche Wohl, leider sind die Preise für Lebensmittel und damit auch jene der Gastronomie sehr hoch.

Ein wenig enttäuschend erlebt man das Musikleben Tel Avivs, sofern man überhaupt in den Genuss einer Aufführung kommt. In dem Wissen um die sprichwörtliche Musikalität des jüdischen Volkes meint man, eine reiche Musikszene vorzufinden. Tel Aviv verfügt zwar über einen großen Konzertsaal, das Bronfman Auditorium, auch ein Opernhaus gibt es, aber bespielt wird beides nur sehr sporadisch. Man denkt an die großen Namen jüdischer Interpreten der klassischen Musik, zahlreiche Dirigenten besetzen Spitzenpositionen bei den großen Orchestern weltweit, Instrumentalsolisten zählen zu den bedeutendsten Virtuosen ihres jeweiligen Instruments. Mit dem Israel Philharmonic Orchestra verfügt das Land auch über ein Orchester, das schon längere Zeit zu den besten Klangkörpern der Welt gezählt wird, im eigenen Land aber leider eher selten konzertiert.

Der Strand von Tel Aviv, ein sich über 10 Kilometer erstreckender weißer Sandstrand, ist ein besonderes Highlight der Stadt. Die gepflegte Strandpromenade wird rund um die Uhr von unauffälligen dienstbaren Geistern sauber gehalten und ermöglicht den Besuchern die ideale Kombination von Stadt- und Strandurlaub.

Rothschild Tower

Mein Lieblingsort in der Stadt ist der elegante Rothschild-Boulevard, auf dessen breiten Mittelstreifen Feuerakazien gepflanzt sind, die angenehmen Schatten spenden. An seinem Beginn steht ein Reiterdenkmal des ersten Bürgermeisters der Stadt, Meir Dizengoff, der schon lange vor der Staatsgründung Israels der erste Bürgermeister Tel Avivs war und großen Anteil an der frühen Entwicklung der Stadt hatte. Auf der Höhe dieses Denkmals befindet sich auch die Independence Hall, jenes Gebäude, in dem im Mai 1948 der Staat Israel ausgerufen wurde. Leider ist das Haus trotz des in diesem Jahr anstehenden Jubiläums seit Jahren eine Baustelle. An der Ecke zur verkehrsreichen Alenby Street, in der Tel Avivs Hauptsynagoge liegt, ragt der elegante schlanke Turm des Rothschild Towers in den Himmel. Den Mittelstreifen des Boulevards müssen sich Fußgänger, Radfahrer und die epidemisch verbreiteten E-Scooter teilen, was erstaunlich konfliktfrei funktioniert.

Für europäische Touristen ungewohnt ist die Sabbat-Ruhe, die zwischen dem Sonnenuntergang am Freitag bis zu jenem am Samstag das öffentliche Leben lahmlegt. Es verkehren keine öffentlichen Verkehrsmittel, fast alle Läden sind geschlossen, ebenso die Mehrzahl der Restaurants. Im stark säkularisierten Tel Aviv widersetzten sich aber so manche Ladenbesitzer und Lokale dieser Regel.

Bereits bei meinem ersten Besuch entwickelte ich eine große Sympathie für dieses Land und seine Bewohner. Dem jungen Staat Israel ist es in erstaunlicher Weise gelungen, für die Einwohner aus unzähligen Ländern identitätsstiftend zu wirken. Man kann den Zusammenhalt der Menschen förmlich spüren, und ihren Willen, eine geeinte Nation zu sein. In den Protesten gegen die demokratie-gefährdenden Pläne der aktuellen Regierung manifestiert sich speziell in der Jugend des Landes eine wache demokratische Gesinnung. Es war schön, in den letzten Wochen viele junge Menschen mit Israel-Fahnen durch die Straßen ziehen zu sehen, sie waren für mich der Ausdruck eines gesunden staatsbürgerlichen Bewusstseins.

Ich hoffe sehr, das Land bald wieder besuchen zu können und weitere Orte und Städte kennenzulernen!

zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de

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