Den Generalmusikdirektor für die Berliner Staatsoper zu bestimmen, ist Aufgabe des Kultursenators, der im aktuellen Fall aber leider erst kurz im Amt ist, und seine Entscheidung wohl auf Ratschläge Dritter stützen musste. Ihm war wohl auch nicht präsent, wie Thielemanns Verpflichtung an die Deutsche Oper Berlin zweimal unschön abrupt endete, inklusive einer mehrstelligen Abfindung für einen zwischenzeitlich engagierten anderen Dirigenten. Diese Vorgänge liegen zwar bereits etwa zwanzig Jahre zurück, dürften aber bestens dokumentiert sein.
Überhaupt sorgt Christian Thielemann immer wieder für ein permanentes Deja vue, wenn er Aussagen über sein Repertoire, und über seine Teamfähigkeit trifft. „Ich habe dazu gelernt“ (Teamfähigkeit) und „Ich kann mir vom Weihnachtsoratorium bis zum Happening alles vorstellen“ (Repertoire) ist da zu hören, Äußerungen die auch aus den Archiven seiner vorzeitig verlassenen Wirkungsstätten stammen könnten.
Das alles muss ein neuer Kultursenator nicht unbedingt wissen, aber er könnte es leicht erfahren, wenn er nur wollte. Thielemanns Berufung schien von dem Augenblick an ausgemacht, als der Dirigent im letzten Herbst kurzfristig den neuen „Ring des Nibelungen“ vom erkrankten Daniel Barenboim übernahm und damit einen verdienten Erfolg feierte. Thielemanns Talent für Wagner, und darüber hinaus Richard Strauss ist bekannt, was natürlich für ihn spricht. Dieses Segment des Repertoires zu beherrschen, macht aber noch keinen Generalmusikdirektor aus. Für diese Position wünscht man sich einen Dirigenten, der sehr viel breiter aufgestellt ist, einen transparenten Führungsstil und Teamfähigkeit mitbringt. Über letztere Eigenschaften bei Thielemann gibt es zahlreiche verheerende Urteile, die panische Flucht enger Mitarbeiter in Dresden war wohl der Grund für die Nicht-Verlängerung seines Vertrages dort. Der Berliner Senator Joe Chialo hätte darüber vielleicht seine Dresdner Amtskollegin befragen sollen, statt dessen folgte er dem „einhelligen Wunsch“ der Berliner Staatskapelle, deren egoistischer Wunsch nach einem prominenten Chef verständlich ist, aber die Bedürfnisse der Institution Staatsoper nicht wirklich im Blick hat. Die große Verliererin in diesem Poker dürfte die designierte Intendantin Elisabeth Sobotka sein, die sich nun mit einem absoluten Alphatier konfrontiert sieht. Man kann ihr nur wünschen, beharrlich an ihren eigenen Plänen festzuhalten. Es ließe sich einwenden, mit der Berufung Thielemanns würde an dem Haus ja nur eine seit drei Jahrzehnten gehandhabte Praxis autokratischer Amtsführung fortgeführt. Gerade diese aber endlich im voranschreitenden 21. Jahrhundert hinter sich zu lassen, hätte ganz oben auf der Agenda stehen sollen.
Man darf freilich nicht vergessen, dass das Amt des Musikchefs der Staatsoper in der Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland auch von der Politik aufmerksam im Blick behalten wird. Daniel Barenboims überlanges Regnum war von der Politik gern gesehen, die neue „Berliner Republik“ schmückte sich seinerzeit nur zu gerne mit einem Generalmusikdirektor jüdischer Herkunft, was Barenboim einen fast unangreifbaren Stand einbrachte und ihm auch das nicht unumstrittene Projekt der Said-Barenboim-Akademie bescherte, und dies im Wortsinn.
Nun, das ist Geschichte, aber die Tatsache, dass Thielemann Deutscher mit deutlich konservativer Ausrichtung ist, passte für einen CDU-geführten Senat vielleicht doch recht gut ins Bild. Geflissentlich wurde übersehen, dass Thielemann eigentlich eher Konzertdirigent ist, wobei seine Programme nicht gerade von stilistischer Vielfalt geprägt sind. Die Werke von Brahms und vor allem Anton Bruckner finden in ihm einen erstklassigen Interpreten. Leider haben diese Komponisten aber keine Opern geschrieben.
Es ist erstaunlich, wie sich das Blatt für Christian Thielemann karrieretechnisch gewendet hat. Keine Vertragsverlängerung in Dresden, Streichung der Stelle als Musikdirektor bei den Bayreuther Festspielen, Ende der Residenz bei den Salzburger Osterfestspielen, diesen Karriereknick beendet nun die Berliner Personalie schlagartig.
Verpasst wurde die Chance, das Haus neu auszurichten. Bereits mit wenig Recherche hätte man eine ganze Reihe von namhaften, aufstrebenden Talenten beiderlei Geschlechtes finden können, unter denen sich sicher eine geeignetere Künstlerpersönlichkeit gefunden hätte. Für Dirigate von Opern Wagners und von Richard Strauss hätte man Christian Thielemann Einzelverträge anbieten können, eine durchaus übliche Praxis, aber eine solche Lösung wäre komplizierter gewesen. Offenbar sollte die Entscheidung vom Tisch. Thielemann wird mit Sicherheit Barenboims Praxis fortführen, mit dem Orchester ausgedehnte Tourneen mit symphonischem Repertoire zu unternehmen. Wie weit das für ein Opernorchester sinnstiftend ist, bleibe dahingestellt.
Die Gemengelage in einer Stadt mit drei Opernhäusern bedarf einer wohl überlegten Balance und Strategie, mit der Besetzung des Chefpostens Unter den Linden hat Joe Chialo zunächst den konservativen Kräften Auftrieb gegeben, die Komische Oper muss sich in ihrer Post-Kosky-Phase erst wieder konsolidieren und in der Bismarckstraße steht an der Deutschen Oper, wo Intendant und GMD demnächst abtreten, ebenfalls die Entscheidung für einen neuen Dirigenten an. Wollen wir hoffen, dass dort nicht reflexartig nach dem Naheliegendsten gegriffen wird. Man muss kein Prophet sein, um der Staatsoper unter Thielemann unruhige Zeiten zu prophezeien.