Ursprünglich hätte diese Premiere der Auftakt für ein neues
Strauss-Festival sein sollen, das Christian Thielemann in Dresden
etablieren wollte. Die Corona-Pandemie hat das Festival verhindert, die
Capriccio-Premiere wurde vor leerem Haus der Semperoper aufgezeichnet
und am 22. Mai gestreamt.
Über der Aufführung liegt nun gleich mehrfach ein Schatten: Nicht nur fehlt atmosphärisch das Publikum im prächtigen Saal der Semperoper, seit zwei Wochen weiß man auch, dass Christian Thielemanns Vertrag in Dresden nicht verlängert wird. Ob man will, oder nicht: Es färbt auf die Aufführung ab, die sich leider bevorzugt in Grau- und Brauntönen als optisch wenig attraktiv erweist.
Der Regisseur Jens Daniel Herzog versucht, zwischen mehreren
Zeitebenen zu wechseln. Die Entstehung des Werkes fällt in die Zeit des
zweiten Weltkrieges, und diese Ebene wählt der Regisseur als
Schwerpunkt, was sich letztlich nicht als gute Idee erweist. Die
Atmosphäre eines französischen Salons der Barockzeit in ein bräunliches
Ambiente der 1940er zu verlegen, versetzt dem Werk einen schweren
Schlag, unter dem die ganze Aufführung leidet. Dass Dekorationen und
Kostüme dazu noch von schlichter Einfallslosigkeit sind, macht das
Resultat nicht besser.
Die ausgezeichnete Sängerbesetzung leidet unter dieser Abwesenheit von Atmosphäre ebenfalls deutlich. Die Herren schlagen sich eindeutig besser, Georg Zeppenfeld ist ein stimmlich höchst präsenter La Roche und der eigentliche Spielmacher. Christoph Pohl als Graf bringt den erforderlichen Charme für seine Rolle und seinen geschmeidigen Bariton ein. Die um die Gunst der Gräfin buhlenden Männer sind beim Tenor Daniel Behle (Flamand) mit leichtem, sicheren Tenor und dem kultiviert singenden Bariton Nikolay Borchev bestens aufgehoben.
Problematischer ist die Besetzung der beiden Frauenrollen: Christa
Mayer als Clairon singt mit ihrem vollen, warmen Mezzosopran
ausgezeichnet, aber das kapriziöse, divenhafte Potential ihrer Rolle
bleibt sie schuldig. Für die Hauptrolle der Gräfin Madeleine war
ursprünglich Anja Harteros vorgesehen, die kurzfristig durch die
allgegenwärtige Camilla Nylund ersetzt wurde. Die überreife Sopranistin
füllt die Rolle stimmlich weitgehend aus, obwohl sie speziell im
Schlussmonolog doch deutlich an ihre vokalen Grenzen stößt. Das
eigentliche Manko ist jedoch das Fehlen von Charme, der diese Figur
ausmacht. Woran sich die Verehrer der Gräfin entflammen, ist schwer
nachvollziehbar. Die kleineren Rollen sind gut besetzt, speziell das
italienische Sängerpaar von Tuuli Takala und Beomjin Kim liefert ein
schön gesungenes Duett.
Die Balletteinlage, eigentlich nur für eine Solotänzerin (Malwina
Stepien) gedacht, wird durch eine erschreckend geschmacklose,
aufdringliche Choreographie verdorben. Die Personenregie Herzogs
insgesamt ist eher plump, auch hier mehr Tristesse der Kriegsjahre als
französischer Esprit.
Es darf nicht verwundern, dass diese Voraussetzungen auch das Dirigat Christian Thielemanns beeinflussten. Thielemann gilt zu Recht als „der“ Strauss-Dirigent unserer Zeit, aber in dieser Aufführung kann er nicht wirklich überzeugen. Seine Tempi sind eher schleppend, ein Spannungsaufbau will nicht recht gelingen. Insgesamt lastet über der Produktion die Hypothek der misslichen aktuellen Zustände. Schade!
Inszenierung Jens-Daniel Herzog
Bühnenbild Mathis Neidhardt
Kostüme Sibylle Gädeke
Choreografie Michael Schmieder, Ramses Sigl
Die Gräfin Camilla Nylund
Der Graf, ihr Bruder Christoph Pohl
Flamand, ein Musiker Daniel Behle
Olivier, ein Dichter Nikolay Borchev
La Roche, der Theaterdirektor Georg Zeppenfeld
Die Schauspielerin Clairon Christa Mayer
Monsieur Taupe Wolfgang Ablinger-Sperrhacke
Eine italienische Sängerin Tuuli Takala
Ein italienischer Tenor Beomjin Kim
Der Haushofmeister Torben Jürgens
Acht Diener Frank Blümel*, Friedrich Darge*, Alexander Födisch*, Torsten Schäpan*, Norbert Klesse*, Thomas Müller*, Juan Carlos Navarro*, Jörg Reißmann*
Drei Musiker Jörg Faßmann (Violine), Tom Höhnerbach (Violoncello), Jobst Schneiderat (Cembalo)
Eine Tänzerin Malwina Stepien
zuerst erschienen beihttp://www.klassik-begeistert.de
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