Jonas Kaufmann goes Hollywood – das fehlte uns noch!

Jonas Kaufmann goes Hollywood – das fehlte uns noch!

Das Etikett Startenor ist ein Ritterschlag, der nicht allzu oft vergeben wird, Voraussetzung für den dauerhaften Besitz ist eine Mischung aus attraktivem Erscheinungsbild, stimmlichen Qualitäten und geschicktem Marketing.

Ein kurzer historischer Rückblick auf bis heute unvergessene Vertreter dieser seltenen Spezies zeigen, dass es sich um gefährdete Existenzen handelt. Peter Anders’ und Fritz Wunderlichs Karrieren wurden jäh durch ihre Unfalltode beendet, Joseph Schmidt und Richard Tauber wurde ihre jüdische Abstammung zum Verhängnis, und der bedeutende Sänger Rudolf Schock ruinierte seinen Ruf durch Operetten und seichte Unterhaltungsmusik. Plácido Domingo schlug den unausweichlichen Abnutzungserscheinungen seiner Stimme allerdings durch den Wechsel ins Baritonfach ein Schnippchen.

So gesehen ist die Kontinuität, mit der Jonas Kaufmann seine Spitzenposition im Ranking der Tenöre hält, bemerkenswert und verdient Respekt. Seine Karriere dauert inzwischen knapp dreißig Jahre, und ist damit zumindest in ihrem Frühherbst angekommen. Was man bei Kaufmann in der Vergangenheit manchmal vermisste, war eine kontinuierliche Entwicklung seines Repertoires. Vor den großen Partien Richard Wagners hatte er wohl großen Respekt, den Tristan, Siegmund und Tannhäuser sang er, aber ging damit sehr sparsam um. Sehr erfolgreich versuchte er sich im französischen Fach, sein Werther und Faust gehören zu seinen besten Kreationen. Verdi, Puccini und andere italienische Partien liegen ihm, wobei sein Gesangsstil in diesem Fach aber zumindest gewöhnungsbedürftig ist.

Für einen prominenten Tenor ist bis heute auch immer noch die geschrumpfte Tonträger-Industrie von Bedeutung. Anfangs war Kaufmann bei der traditionsreichen DECCA, heute Universal, unter Vertrag, die in diesen Jahren produzierten Alben zeichneten sich durch sorgfältige Auswahl der Titel aus. Seit seinem Wechsel zu SONY wurden seine Veröffentlichungen durchgestylte Concept-Alben, da wurde nichts dem Zufall überlassen. Naturgemäß erschöpfen sich aber über die Jahre die in Frage kommenden Themen. Für komplette Opern verlieh man den Sänger mehrmals an Warner, lediglich sein Otello erschien bei SONY. Nach Ausflügen in das Repertoire von Schmidt und Tauber, einer pompösen Weihnachtslieder-Orgie und einer etwas schmalzig geratenen Wien-CD ist der neueste Streich nun ein Album mit Filmschlagern.

Das ist ein Genre, das für Liebhaber der klassischen Musik nur bedingt kompatibel ist. Also zielt die Produktion eher auf jene Gruppe von Fans, für die der Sänger wichtig ist, nicht jedoch was er singt. Für die im November 2022 in Prag eingespielte CD wurden 22 Titel aus ebenso vielen Filmen ausgewählt. In vier Sprachen darf der Tenor seine Weltläufigkeit demonstrieren, die Qualität der Kompositionen schwankt aber deutlich.

Bernsteins unverwüstliche „Maria“ steht da neben überzuckerten Titeln wie dem im großen Orchestersound beinahe ertränkte „Where do I begin“ aus Love Story. Das Prager Orchester trifft vorzüglich den geschmeidigen Stil für diese Art von Musik. Da rauscht es auf, ein Background-Chor summt und Jonas Kaufmann gibt dem Affen Zucker, manchmal durchaus überdosiert. Titel wie „Nelle tue mani“ aus Gladiator, oder „Bring him home“ aus Les Miserablés bringen aber selbst einen gestandenen Opernsänger an seine stimmlichen Grenzen. Kaufmann scheut sich nicht vor Säuseln, Falsettieren und Pressen, was hier verzeihlicher ist, als im klassischen Repertoire. Bei einzelnen Titeln hat man aber doch den Eindruck, Kaufmann wäre im falschen Film. „Strangers in the Night“ bleibt weit hinter Frank Sinatras ikonischer Interpretation zurück, „Singing in the rain“ ist einfach untrennbar mit Gene Kelly verbunden. Leicht zu singen ist diese Musik keineswegs, und das hört man auch, bei jedem Ton.

Die Gestaltung des Artwork ist aufwändig, ein reich illustriertes Booklet enthält sogar Abbildungen der originalen Filmplakate, eine ganze Fotostrecke mit Porträts von Kaufmann wird das Herz der Fans erfreuen.

Schon sind Konzertauftritte Kaufmanns mit dem Inhalt dieser CD angesetzt, neben München und Baden-Baden werden auch Neapel und Prag in den Genuss solcher Konzerte kommen. Viele weitere werden mit Sicherheit folgen, vielleicht gewinnt Jonas Kaufmann damit sogar neue Fans.

Der Versuch des Sängers, auf so ziemlich allen musikalischen Ebenen in der Champions-League mitzuspielen, macht ihn ein wenig zu einem Gehetzten.

Keiner kann bei der Bandbreite zwischen Schuberts Winterreise, Wagners Tristan, Wienerliedern und Weihnachtsschmonzetten, nun auch Filmschlagern und demnächst einer Intendanz immer auf dem Podest stehen. Vielleicht wird auch diese neue CD wieder in einem Shopping-Kanal des Privatfernsehens vermarktet, wer weiß? Auch eine Sängerkarriere hat ihre materiellen Aspekte, und die Kuh muss gemolken werden, solange sie Milch gibt!

The Sound of Movies
Jonas Kaufmann

Czech National Symphony Orchestra
Jochen Rieder  Dirigent
Miloš Karadaglić   Gitarre

Sony Classical 19658811552

zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de

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