Der ganze Bruckner soll es sein!

Der ganze Bruckner soll es sein!

Die Musikwelt kann am 4. September des nächsten Jahres den 200. Geburtstag des Komponisten Anton Bruckner feiern. Das führt bereits im Vorfeld zu Veröffentlichungen neuer, oder wieder aufgelegter Aufnahmen seiner Kompositionen, wobei die neun Symphonien einen zentralen Platz einnehmen. Es ist bekannt, dass Bruckner seine beiden ersten Symphonien nicht in die Zählung aufnehmen wollte, da er mit diesen Kompositionen nicht zufrieden war.

Der derzeit wohl weltweit führende Bruckner-Dirigent Christian Thielemann, der bereits mit „seiner“ Sächsischen Staatskapelle Dresden in zahlreichen Aufführungen seine Kompetenz bewies, hat in den letzten beiden Jahren, im Schatten der Covid 19-Pandemie, mit den Wiener Philharmonikern das Projekt „Bruckner 11“ realisiert. Teils vor leerem Saal, teils vor Publikum führt er alle Symphonien, inklusive der beiden namenlosen auf und erweist sich damit erneut als Bruckner-Spezialist von hohen Gnaden.

Annullierte Erste Symphonie (Studiensymphonie) F-moll

Dieser kaum jemals im Konzertsaal zu hörende erste größere symphonische Versuch Anton Bruckners erweist sich bei seiner ersten Aufführung durch die Wiener Philharmoniker als ein erstaunlich gut proportioniertes Werk, zumindest die beiden Binnensätze tragen in ihrer Struktur schon deutlich die Handschrift des späteren Meisters. Vor allem die sehr differenzierte Instrumentierung weist schon auf die späteren, reiferen Werke des Komponisten voraus.

Die „Nullte“ Symphonie D-moll

Diese unter der Bezeichnung Nullte Symphonie bekannte Komposition zeigt Bruckner schon kompositorisch gereift, auch die charakteristischen Merkmale späterer Symphonien sind bereits im Ansatz erkennbar. Es gibt Anklänge an einen Choral und zumindest die beiden Binnensätze tragen schon deutlich die Handschrift des Meisters. Christian Thielemann ist nach eingehendem Studium überzeugt, dass die bisher angenommene Zählung der Symphonien missverständlich ist. In seinen Augen ist die Studiensymphonie eigentlich die annullierte erste, die nullte die ebenfalls annullierte zweite Symphonie, wobei die von Bruckner später als erste bezeichnete, eigentlich seine dritte Symphonie darstellt.

Die 1. Symphonie C-moll

Diese im Kanon der häufig gespielten Werke Anton Bruckners eher vernachlässigte Symphonie verfügt schon über einige Charakteristika des späteren Stil Bruckners. Insgesamt kommt sie noch jugendlicher, unbekümmerter daher, als die späteren. Bruckner selbst hat sie als das „Keckste“ bezeichnet, das er je geschrieben hat.

Auch dieses Werk wurde im leeren Musikvereinssaal ohne Publikum aufgezeichnet.

Mit der 2. Symphonie setzt der Kanon der regelmäßig aufgeführten Symphonien Bruckners ein. Thielemann wählt für seine Interpretation die 2. Version von 1877 und führt sie im April 2019 im Musikverein vor Publikum auf.

Die 3. Symphonie, die Thielemann in der „Wiener Fassung“ im November 2020 einspielt, kann bedingt durch die strengen Corona-Auflagen nur im gespenstisch leeren Goldenen Musikvereinssaal erklingen.

Die 4. Symphonie, die „Romantische“ wird hier in einer Aufführung im Rahmen der Salzburger Festspiele 2020  wiedergegeben, die unter strengen Auflagen trotz der Pandemie vor reduziertem Publikum stattfinden konnten.

Die in Wien im März 2021 aufgezeichnete 5. Symphonie fiel unter die Corona-Regeln, und wurde daher ohne Publikum aufgeführt.

Bei der 6. Symphonie war im April 2022 im Wiener Musikverein wieder Publikum zugelassen.

Die Aufführung der 7. Symphonie fand wieder im Rahmen der Salzburger Festspiele im August 2021 statt. Thielemann wählte dafür die Edition Leopold Novak.

Noch vor dem Einschnitt der Corona-Pandemie fand im Oktober 2019 im Wiener Musikverein die Einspielung der 8. Symphonie in der Edition Haas von 1939 vor Publikum statt.

Die unvollendete 9. Symphonie führte Thielemann wieder im Rahmen der Salzburger Festspiele 2022 auf.

Diese erstmals vollständige Edition aller Symphonien Anton Bruckners in Bild und Ton ist schon für sich genommen eine eindrucksvolle Unternehmung. Durch seine unbestrittene Kompetenz erhebt Christian Thielemann sie zum Ereignis. Eine blendende Idee ist es, den Musikwissenschaftler Johannes Leopold Mayer in einem Gespräch zu jeder der Symphonien zu befragen, und diese Gespräche als Anhang den Konzertmitschnitten hinzuzufügen. Mayer ist eine absolut kompetente Persönlichkeit, deren Werkkenntnis tiefe Einblicke in die Struktur des jeweiligen Werkes ermöglicht.

Diese Edition ist wohl das eindrucksvollste Geschenk an den Jubilar und Christian Thielemann schreibt sich damit endgültig in die Annalen der großen Bruckner-Interpreten ein.

Bruckner 11

Wiener Philharmoniker
Christian Thielemann

5 Blu-ray-Discs Unitel

zuerst erschienen bei http://www-klassik-begeistert.de

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