Doppelmord im Schillertheater: Kirill Serebrennikov meuchelt Mozart und Da Ponte

Doppelmord im Schillertheater: Kirill Serebrennikov meuchelt Mozart und Da Ponte
Le nozze di Figaro Wolfgang Amadeus Mozart Opera buffa in vier Akten [1786] Libretto von Lorenzo Da Ponte, basierend auf der Komödie La Folle Journée, ou le Mariage de Figaro von Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais Musikalische Leitung: James Gaffigan Inszenierung / Bühnenbild und Kostüme: Kirill Serebrennikov Co-Bühnenbild: Olga Pavlyuk Co-Kostümbild: Tatyana Dolmatovskaya Choreographie: Evgeny Kulagin Dramaturgie: Julia Jordà Stoppelhaar, Daniil Orlov Chöre: Jean-Christophe Charron Licht: Olaf Freese Video: Ilya Shagalov Foto: Monika Rittershaus

Nach Kirill Serebrennikovs plumper, das Stück verbiegender Inszenierung von „Cosi fan tutte“ konnte man es ahnen: der Regisseur würde auch für den Figaro Ideen auftischen, die diese Erfolgskomödie gegen den Strich bürsten.

Die Premiere dieser Inszenierung lässt Einen nun ziemlich ratlos zurück, man weiß nicht, wo anfangen mit der Schilderung der abstrusen Einfälle Serebrennikovs. Den Pagen Cherubino spaltet er in zwei Figuren auf, einen taubstummen Jungen, der sich nur über den Tanz artikulieren kann, und sein alter ego Cherubina, die für ihn singt. Dieses Mädchen ersetzt die Figur der Barbarina, deren hübsches Arioso im vierten Akt ersatzweise von der Gräfin gesungen wird. Auch in Zeiten der eingeforderten Inklusion ist das Vorführen einer gehandicapten Person auf der Bühne geschmacklos, es spielt dabei keine Rolle, dass der extrem bewegliche Tänzer Georgy Kudrenko im wirklichen Leben sicherlich ohne dieses Defizit existiert.

Le nozze di Figaro, Wolfgang Amadeus Mozart, Foto: Monika Rittershaus

Häufig erlebt man Eingriffe in die Partitur, Arien werden innerhalb der Handlung neu platziert, stellenweise gibt es quälende Generalpausen. Stellen in der ersten Hälfte des Abends noch die trashigen Dekorationen und unschönen Kostüme ein Ärgernis dar, so ist der Regisseur nach der Pause endgültig von allen guten Geistern verlassen. Da bleiben die Verwendung von Smartphones und auf die Bühne projizierten Whatsapp-Nachrichten noch die erträglicheren Abstrusitäten.

Graf, Gräfin und Susanna singen unvermittelt das Terzett aus „Cosi fan tuztte“, mimen dabei einen vom Grafen imaginierten flotten Dreier, an der Wand prangt der beleuchtete Schriftzug „Capitalism kills Love“, ein Sänger rezitiert einen längeren Prosatext. Während der Musik zur Trauungszeremonie, die nicht gezeigt wird, taucht plötzlich ein fast unbekleideter Amokläufer auf, der mit dem Messer auf mehrere Frauen einsticht. Ständig ziehen sich Protagonisten und Statisterie um, oder aus, das scheint eine zwanghafte Idee des Regisseurs zu sein.

Der vierte Akt, der im Original das Meisterwerk eines erotischen Verwirrspiels ist, verpufft in unübersichtlichem Rampensingen, aber da ist das Meisterwerk Mozarts und seines genialen Librettisten Lorenzo Da Ponte längst mausetot. Es gäbe noch viele weitere Ungereimtheiten und schlechte Einfälle zu schildern, aber die Feder sträubt sich, das Ärgernis dieser unsäglichen Aufführung noch detaillierter zu schildern.

Le nozze di Figaro, Wolfgang Amadeus Mozart, Foto: Monika Rittershaus

Mit geschlossenen Augen hätte man aber den Abend durchaus genießen können. Chefdirigent James Gaffigan setzt ein forsches Tempo, wie es der turbulenten Komödie gut bekommt, und das jugendliche Sänger-Ensemble liefert ausnahmslos ausgezeichnete Gesangsleistungen.

Der Graf Hubert Zapiórs erfreut mit einem geschmeidigen Bariton, seine große Arie gelingt hervorragend. Tommaso Bareos Figaro ist ihm ein starker Gegenspieler, sein Bassbariton ein wenig spröde, aber kräftig. Die Gräfin Nadja Mchantafs leidet klangschön, ein wenig mehr Attacke in ihrer großen Arie vermisst man, aber insgesamt kann sie überzeugen. Susan Zarrabi als „Cherubina“ lässt sich von der Verunstaltung ihrer Rolle nicht irritieren und singt Cherubinos Arien mit makellos reinem Mezzosopran. Am besten gefällt Penny Sofroniadous Susanna, die ihren lyrischen Sopran sicher durch alle Niederungen der chaotischen Inszenierung führt.

Le nozze di Figaro, Wolfgang Amadeus Mozart Foto: Monika Rittershaus

Man hat sich längst unwillig an den Trend zur Dekonstruktion im aktuellen Musiktheater gewöhnt, aber was Serebrennikov als „Nozze di Figaro“ verkaufen will, ist schlicht unterirdisch. Es gehört schon Einiges dazu, um diese seit Jahrhunderten erfolgreiche Komödie in den Sand zu setzen, aber für Regisseure vom Schlag eines Serebrennikovs stellt das kein Problem dar.

Die Intendanz des Hauses war nicht gut beraten, ihm alle drei Da Ponte-Opern Mozarts anzuvertrauen. Für den im nächsten Jahr vorgesehenen „Don Giovanni“ besteht wenig Hoffnung, das Werk in einer ansprechenden Präsentation zu erleben.

Wolfgang Amadeus Mozart
Le Nozze di Figaro

Inszenierung, Bühnenbild und Kostüme  Kirill Serebrennikov

Dirigent James Gaffigan

Komische Oper im Schillertheater Berlin, Premiere, 27. April 2024

zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de

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