Die Komische Oper Berlin hebt ab: Saisoneröffnung im Hangar des Flughafens Tempelhof

Die Komische Oper Berlin hebt ab: Saisoneröffnung im Hangar des Flughafens Tempelhof
Das Floẞ der Medusa Hans Werner Henze Oratorium in zwei Teilen [1968] Dichtung von Ernst Schnabel Musikalische Leitung: Titus Engel Inszenierung: Tobias Kratzer Bühnenbild und Kostüme: Rainer Sellmaier Choreographie: Marguerite Donlon Dramaturgie: Julia Jordà Chöre: David Cavelius Kinderchor: Kai-Uwe Jirka Licht: Olaf Freese Foto: Jaro Suffner

Die auf Jahre hinaus heimatlos gewordene Komische Oper Berlin muss ab dieser Spielzeit, wie schon die Staatsoper vor ihr, das Charlottenburger Schillertheater als Ausweichquartier bespielen. Die Eröffnungspremieren der nächsten Jahre will man aber an jeweils anderen, ausgefallenen Orten der Stadt präsentieren.

Die Wahl des Hangars des stillgelegten Flughafens Tempelhof für Henzes „Floß der Medusa“ muss man als Volltreffer bezeichnen. Die gewaltigen Dimensionen dieser Halle ermöglichen eine beängstigend realistische Darstellung dieses szenischen Oratoriums, das auf eine wahre Begebenheit zurückgeht. In einem Akt brutaler Menschenverachtung hatte man die minder privilegierten Schiffbrüchigen der Fregatte Medusa auf ein Floß zusammengepfercht und bald ihrem Schicksal überlassen. Das ikonische Gemälde von Théodore Géricault hat das Ereignis von 1816 für die Nachwelt festgehalten.

Zwischen zwei steil ansteigenden Tribünen platzierte man im Hangar ein riesiges Wasserbecken, in dem bestürzend realistisch die Irrfahrt des Floßes nachgestellt wird, einschließlich des Ertrinkens seiner Passagiere. Es ist wahrscheinlich das erste Mal in der über fünfzigjährigen Rezeptionsgeschichte des Werkes, dass man es so hautnah erleben konnte. Dem Regisseur Tobias Kratzer gelang damit ein eindrucksvoller Coup.

Das Oratorium hat nur zwei Gesangspartien, La Mort und den Farbigen Jean-Charles. Gloria Rehm lieh Ersterer ihren glasklaren Sopran, die exponierten Höhen gelangen ihr meisterhaft. Günter Papendell als Jean-Charles stellte erneut seine stilistische Vielseitigkeit und baritonale Kompetenz unter Beweis.

Die Sprechrolle des Charon, Chronist der Geschehnisse, wurde in diesem Fall mit einer Frau besetzt. Obwohl Iddunu Münch den Part gut verständlich sprach, hätte eine Männerstimme der tieferen Lage doch mehr Resonanz. Henze wusste, warum er den Part auch so vorsah.

Ein großer Abend auch für die Chorsolisten der Komischen Oper. Ob aus dem Publikum singend, oder auf dem Floß, ob schwimmend im Wasserbecken, stets wurde der gewohnt hohe Standard gehalten.

So sehr die Aufführung auch geglückt war und großen Eindruck hinterließ, muss man die musikalische Bedeutung des Werkes doch kritisch hinterfragen. Streng genommen ereignet sich in den etwa siebzig Minuten musikalisch nicht sehr viel. Henze war ein routinierter Komponist, dem auch in diesem Fall wirkungsvolle Momente gelangen, aber die seinerzeitige Bedeutung des 1968 uraufgeführten Werkes lag doch wohl mehr in seiner politischen Brisanz, es war Polit-Theater der 68er-Bewegung und ist so gesehen mehr eine historische Reminiszenz. Keine Frage, das Thema Schiffbrüchige besitzt heute wieder höchste Relevanz, aber die Tatsache, dass nahezu täglich hunderte Menschen hilflos im Mittelmeer ertrinken, ohne dass der angeblich so zivilisierten Welt eine Lösung des Problems einfiele, spiegelt sich in Henzes Oratorium nur bedingt wieder.

Am Ende des kurzen, aber eindrucksvollen Abends wurden alle Beteiligten stürmisch, und zurecht gefeiert. Vielleicht hat der eine oder andere Zuschauer anschließend verschämt im Internet eine Spende für Hilfsorganisationen geleistet. Dann hätte die Aufführung doch schon etwas bewirkt!

Foto: (c) Jaro Suffner

Hans Werner Henze
Das Floß der Medusa
Oratorium in zwei Teilen [1968]
Dichtung von Ernst Schnabel

La Mort  Gloria Rehm
Jean-Charles  Günter Papendell
Charon  Idunnu Münch
Titus Engel  Dirigent

Tobias Kratzer  Inszenierung

Hangar 1, Flughafen Tempelhof, 16. September 2023

zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de

Menü schließen