„Così fan tutte“ in Aix en Provence: Tcherniakov inszeniert Da Ponte 2.0

„Così fan tutte“ in Aix en Provence: Tcherniakov inszeniert Da Ponte 2.0

Mozarts „Così fan tutte“ hat für die sommerlichen Festspiele in Aix-en-Provence eine besondere Bedeutung. Sie war das erste Werk, das im Gründungsjahr 1948 zur Aufführung kam, und erlebt seither in kurzen Abständen Neuproduktionen. Der Innenhof des Erzbischöflichen Palais ist dafür eine ideale Spielstätte, unter freiem Himmel sind die Temperaturen eines Sommerabends in Südfrankreich besser zu ertragen.

In diesem Sommer wagte sich der russische Star-Regisseur Dmitri Tcherniakov an das doppelbödige Werk, eine verspielte, fröhliche Komödie war also nicht zu erwarten. Der Regisseur ließ sich als Einheits-Bühnenbild eine steril elegante Ferienwohnung in der Art eines Chalets bauen, dessen perfekte Eleganz gleichzeitig auch Kälte ausstrahlt.

An den Beginn beider Akte stellt Tcherniakov jeweils eine stumme Szene, in der Alfonso und Despina als Paar in toxischer Beziehung, mit einem Alkohol-Problem und einer „Leiche im Keller“, die unausgesprochen im Raum steht, zu erleben sind.

Auch bei Da Ponte sind Alfonso und Despina die Drahtzieher des gefährlichen Liebes- Experiments, hier sind sie ein Ehepaar, das zwei Paare eingeladen hat. Das gibt der Geschichte eine neue Dimension und man erkennt schnell, dass die beginnenden Psycho-Spielchen stellvertretend für Rituale in der Beziehung der beiden stehen.

Alle drei Paare befinden sich bereits in reiferem Alter, das gibt der Handlung ein anderes Gewicht. Die Auswahl der Sänger für diese Produktion gelang sehr stimmig, reife Stimmen, aber jeweils in sehr gutem Zustand. Alfonso und Despina rücken in dieser Inszenierung zu den zentralen Figuren auf, Georg Nigl und Nicole Chevalier gelingt ein Kammerspiel der Extraklasse, das die Abgründe dieses Paares von kleinen Gesten bis zu aggressiven Ausbrüchen glaubwürdig in den Raum stellt. Nigls Alfonso, mit weichem, aber markantem Bariton schön gesungen, lässt den bitteren Zynismus auch durch die Kantilenen durscheinen, Nicole Chevalier gibt mit ihrem flexiblen Sopran ein interessantes Portrait eines gebrochenen Charakters.

Das drängt die anderen Paare ein wenig in den Hintergrund, aber sie wissen sich musikalisch sehr wohl zu behaupten. Rainer Trost als Ferrando setzt seinen technisch hervorragend geführten Tenor mit großer Mozart-Erfahrung nachdrücklich ein. Russel Braun ist ein eher handfester Guglielmo, aber auch ihm gelingt mit reifem Bariton ein stimmiges Rollenportrait. Exzellent auch die Dorabella Claudia Mahnkes, deren voller Mezzosopran längst auch im Wagner-Fach angekommen ist, sich aber die Geschmeidigkeit für Mozart bewahrt hat. Sie harmoniert vorzüglich mit der Fiordiligi von Agneta Eichenholz, die sich mit ruhiger, sicherer Stimmführung den halsbrecherischen Herausforderungen ihrer Partie bestens gewachsen zeigt. Thomas Hengelbrock leitet das Balthasar Neumann Orchester und dessen Chor mit großer Kompetenz, dieses Ensemble kennt seinen Mozart und sorgt für den authentischen Klangteppich, auf dem sich die Sänger entfalten können.

Festival d’Aix-en-Provence 2023 © Monika Rittershaus

Tcherniakov gelingt ein virtuoses Kammerspiel, er choreographiert das Stück in eleganter Weise und erreicht eine große Dichte und Intensität.

Was man zu sehen bekommt, mag nicht nach jedermanns Geschmack sein, aber im Grunde legt Tcherniakov die Substanz des Stückes frei. Er überschreibt das Libretto nicht, sondern denkt es zu Ende. Da Ponte 2.0 könnte man sagen. Gegen Ende des zweiten Aktes dreht die Stimmung in Richtung Sadismus und offener Aggression, der Ton wird rauer und exakt mit dem letzten Ton fällt der Schuss, mit dem Despina Alfonso tötet. Wobei offen bleibt, ob es nicht noch mehr Tote geben wird. Das ist dann schon eher Da Ponte 3.0 und verstört doch ein wenig.

Sofort nach dem Fallen des Vorhanges beginnt unerwartet ein heftiges Buh-Konzert, das völlig ungerechtfertigt und für die Künstler beleidigend ist. Auffällig ist, dass die Buh-Rufer alle konzentriert in einem Segment des Zuschauerraumes sitzen, was an eine gesteuerte Aktion denken lässt, die so in den vorhergehenden Aufführungen nicht stattfand.

Am Heimweg durch die malerische Altstadt von Aix hat man an diesem brütend heißen Sommerabend viel nachzudenken.

Aix-en-Provence, THÉÂTRE DE L’ARCHEVÊCHÉ, 11. Juli 2023

Wolfgang Amadeus Mozart
Lorenzo Da Ponte

Così fan tutte

Fiordiligi    Agneta Eichenholz
Dorabella    Claudia Mahnke
Ferrando    Rainer Trost
Guglielmo    Russell Braun
Don Alfonso    Georg Nigl
Despina    Nicole Chevalier

Orchester und Chor Balthasar Neumann
Dirigent    Thomas Hengelbrock 

Inszenierung    Dmitri Tcherniakov

zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de

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