Massenets „Hérodiade“ an der Deutschen Oper Berlin: Was nicht in der Bibel steht

Massenets „Hérodiade“ an der Deutschen Oper Berlin: Was nicht in der Bibel steht

Fast ein Vierteljahrhundert trennen die Uraufführung von Massenets Hérodiade und Richard Strauss’ Salome. Aber nicht nur musikhistorisch sind die beiden Werke völlig unterschiedlich, auch der Umgang der Textdichter mit der auf Motive aus dem Neuen Testament zurückgehenden Handlung könnte verschiedener nicht sein. Gemeinsam ist beiden Werken der sehr freie Umgang mit ihrer Quelle.

Massenets Oper ist noch deutlich dem Stil der Grand Opéra zuzurechnen, obwohl deren Zeit 1881 eigentlich längst vorbei war. Die Musik trägt durchaus spätromantische Züge, in den reinen Orchesterpassagen lässt der Komponist seine Instrumentierungskunst hören, auch die wuchtigen Chöre verraten Meisterschaft und nicht zuletzt für die Solisten hat Massenet eine dankbare und differenzierte Melodik gefunden.

Hérodiade, Étienne Dupuis © Bettina Stöß

Für die konzertante Präsentation dieser auf deutschen Spielplänen kaum zu findenden Oper hat die Deutsche Oper Berlin eine glanzvolle Besetzung aufgeboten, mit Enrique Mazzola auch einen bewährten Dirigenten für die Opern-Schlachtschiffe des 19. Jahrhunderts ans Pult gestellt. Die eindrucksvollen Chöre unterbrechen und strukturieren das Werk in sehr gekonnter Weise, den Solisten ist mehr die differenzierte Schilderung ihrer Gemütslage zugeordnet. Dieses Werk verlangt nach groß dimensionierten Stimmen. Étienne Dupuis stattet den Hérode mit machtvollem Bassbariton aus, glaubwürdig gelingt ihm die Charakterisierung von dessen zerrissenem Charakter. Der tenorale Gegenspieler Jean, Johannes der Täufer, findet in Matthew Polenzani einen differenziert zwischen mächtigen Ausbrüchen und lyrischen Momenten wechselnden Charaktertenor. Marko Mimico lässt als Phanuel wuchtige, stellenweise etwas raue Töne hören.

Hérodiade, Clémentine Margaine © Bettina Stöß

Mutter und Tochter, Salomé und Hérodiade bestreiten einen stimmlichen Wettstreit, den die Tochter knapp gewinnt. Nicole Car verfügt über einen schlank geführten, eher lyrischen Sopran, der aber Kraft und Technik für die große Attacke besitzt, und mit eindrucksvollen Spitzentönen punkten kann. Clémentine Margaines Stärke liegt eher in der vollen, runden Tiefe ihres schön timbrierten Mezzosoprans, eine gewisse Schärfe in der Tongebung ist aber nicht zu überhören.

Laut war dieser Abend an der Bismarckstraße, aber durchgängig wohlklingend. Am Ende wurden die Solisten und der Dirigent Mazzola gebührend gefeiert. Auch der bestens disponierte Chor erhielt gerechten Anteil an dem donnernden Applaus.

Foto: Hérodiade, Nicole Car und Matthew Polenzani © Bettina Stöß

Konzertante Aufführung, Deutsche Oper Berlin, 15. Juni 2023 PREMIERE

Jules Massenet
Hérodiade

Hérode          Étienne Dupuis
Hérodiade   Clémentine Margaine
Salomé         Nicole Car
Jean               Matthew  Polenzani
Phanuel       Marko Mimica

Dirigent      Enrique Mazzola

zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de

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