Eine derart umfangreiche Sängerbiographie wie die gerade erschienene über die 1987 verstorbene Rita Streich ist eine Seltenheit. Auf weit über 600 Seiten behandelt die Autorin Claudia Behn das Leben und die Karriere der erfolgreichen Sängerin detailreich und höchst informativ.
Das war in dieser Breite nur möglich, weil der Sohn der Künstlerin, Franklin Berger sein privates Archiv zur Verfügung stellte und der Autorin für Rückfragen zur Verfügung stand. Rita Streich, in Russland als Tochter eines deutschen Vaters und einer russischen Mutter 1920 geboren, kam schon als Kleinkind nach Deutschland. Ihre Gesangsausbildung fand während und nach dem zweiten Weltkrieg statt, für den Start einer Gesangskarriere war die Nachkriegszeit eine gute Zeit, die Menschen waren nach den Schrecken des Krieges hungrig nach Musik. Aber es war tatsächlich den stimmlichen Qualitäten Rita Streichs geschuldet, dass ihre Karriere so schnell an Fahrt aufnahm. Die beiden großen Berliner Opernhäuser und die Wiener Staatsoper waren die Stammhäuser der Streich, aber Gastauftritte, u.a. bei den Bayreuther Festspielen als Waldvogel in „Siegfried“, und umfangreiche Tourneen führten die Sängerin praktisch um die ganze Welt. Neben der Oper und dem Liedgesang wirkte Rita Streich auch erfolgreich als Operettensängerin.
Die Stationen dieser großen Karriere zeichnet die Autorin akribisch nach, zum Teil sind sogar komplette Auftrittsverzeichnisse mancher Häuser abgedruckt, ausführlich behandelt werden auch die Konzertreisen mit genauen Abläufen. Die Begegnungen mit anderen Künstlern werden ebenso geschildert, wie Kritiken und Würdigungen, auch aus Korrespondenzen wird ausführlich zitiert. Aus dem privaten Archiv von Franklin Berger wird eine große Zahl von privaten Fotos und Dokumenten abgedruckt. Die umfangreiche Aufnahmetätigkeit Rita Streichs für das noch junge Medium Langspielplatte wird umfangreich und detailreich behandelt. Rita Streich hat mit praktisch allen bedeutenden Dirigenten ihrer Zeit gearbeitet, darunter Wilhelm Furtwängler, Ferenc Fricsay, Karl Böhm, Herbert von Karajan u.v.a.
Das Buch enthält umfangreiche Einblicke in das nicht unproblematische Privatleben der Sängerin, die zeitlebens um eine Vereinbarung ihrer künstlerischen Tätigkeit mit Ehe und Mutterschaft rang. Zwei Mal heiratete sie den Regisseur und Autor Hans Dietrich Berger, aber beide Versuche die unterschiedlichen Temperamente der Eheleute unter einen Hut zu bekommen, scheiterten. Aus der ersten Ehe ging der Sohn Franklin Berger hervor, der mit großer Offenheit über das streckenweise komplizierte Familienleben berichtet. Trotz zweier Scheidungen blieb Rita Streich mit Hans Dietrich Berger bis zu dessen frühem Tod 1980 eng verbunden.
Schülerinnen Rita Streichs kommen ausführlich zu Wort. Die Sängerin hatte eine Lehrtätigkeit an der Essener Folkwang-Hochschule, an der Wiener Musikakademie, und Meisterkurse im Rahmen der Salzburger Festspiele übernommen.
Das Buch, ausdrücklich und zurecht als wissenschaftliche Biografie bezeichnet, bietet tatsächlich eine erschöpfende Fülle an Details, wie ein Rollenverzeichnis, eine vollständige Diskographie, ein Literatur- und Quellenverzeichnis, ein Verzeichnis der zahlreichen Abbildungen und ein Personenregister.
Der große Wert einer so umfangreichen Arbeit liegt nicht nur in der Würdigung einer bedeutenden Karriere, gleichzeitig gelingt damit ein Blick auf die kulturelle und speziell musikalische Szene jener Zeit und ihrer Protagonisten. Trotz des Umfanges der Arbeit liest sich das Buch leicht, da es sehr lebendig geschrieben und auch übersichtlich gegliedert ist. Der großen Künstlerin Rita Streich wurde hier ein würdiges Denkmal gesetzt!
Claudia Behn
Auch ich versteh‘ die feine Kunst
Biografie über die Koloratursopranistin
Rita Streich
Königshausen & Neumann
zuerst erschienen bei ORPHEUS Oper und mehr