Callas „La Divina“: Ein Mythos steht auf dem Prüfstand

Callas „La Divina“: Ein Mythos steht auf dem Prüfstand

Der bevorstehende 100. Geburtstag der Jahrhundert-Sängerin Maria Callas findet auch 46 Jahre nach dem Tod der Künstlerin noch ein gewaltiges mediales Echo. Von mehreren Büchern sehr unterschiedlicher Qualität abgesehen erscheinen auch wieder neue Ausgaben ihrer zahlreichen Tonaufnahmen. Die ursprünglich bei der EMI erschienen Schallplatten wurden vom Label Warner, das die EMI komplett übernommen hatte, sorgfältig aufbereitet. Quasi als Geburtstagsgeschenk erschien die bisher kompletteste aller Gesamtausgaben, in einem Umfang und einem Preis, der sie nur für etwas betuchtere Fans erschwinglich macht.

Parallel dazu erschien aber ein Doppelalbum, dessen klug zusammengestellte Auswahl mit über zweieinhalb Stunden mehr als nur einen repräsentativen Querschnitt durch das akustische Erbe der Sängerin darstellt. Die erste CD enthält Studioaufnahmen, die zweite bietet eine interessante Auswahl aus live mitgeschnittenen Aufführungen.

Die Zeitspanne der Aufnahmen, die von den frühen 1950er Jahren bis zu den mittleren 1960er Jahren reicht, ist klug gewählt, denn leider währte die Blütezeit dieser Stimme nicht sehr lange. Es ist bekannt, dass Maria Callas zu Beginn ihrer Karriere noch im Wagner-Fach unterwegs war, sie sang Brünnhilde, Isolde und Kundry, letztere Rolle ist sogar in einem gekürzten Mitschnitt erhalten. Die spätere Hinwendung zum Belcanto-Fach und Koloraturpartien litt schon bald unter den Folgen dieser „Jugendsünden“.

Aufnahmen aus den letzten Jahren ihrer Karriere zeigen einen erschütternden Niedergang, von ihrer Abschiedstournee Anfang der 1970er Jahre ganz zu schweigen, deren Ohrenzeuge ich in München wurde.

Hört man sich aufmerksam durch die beiden CDs, so kann man schon auch in den frühen Tondokumenten Anzeichen für Defekte der Stimme erkennen. Teilweise ist ein starkes Tremolo zu hören, dem beeindruckenden Gestaltungswillen der Künstlerin gehorcht ihr Instrument nicht mehr ganz. Bereits im „Liebestod“ von 1957 gerät ihr z.B. der Schlusston unsauber. Das ist natürlich Beckmesserei, aber bei allen Superlativen sollte man doch auf dem Boden der Tatsachen bleiben.

Die gebotene Auswahl reicht durch alle Stile und italienisches, französisches und mit dem italienisch gesungenen „Liebestod“ sogar deutsches Repertoire. Der dramatische Aplomb, mit dem sich die Callas ihren Rollen nähert, ist beispiellos, darin hat sie bis heute keine Nachfolgerin gefunden. Dabei musste sie Zeit ihrer Karriere gegen das Manko ansingen, kein schönes Timbre zu besitzen. An dramatischer Wahrhaftigkeit der Darstellung und deren vokaler Umsetzung änderte das freilich nichts.

Maria Callas brannte nicht nur auf der Bühne, ihr spektakuläres, bewegtes und leider kurzes Leben trug noch zusätzlich zur Entstehung des „Mythos Callas“ bei. Dieses Doppelalbum gibt reichlich Gelegenheit, ihm zu huldigen.

La Divina
Maria Callas

Warner 5054197664915

zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de

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