100 Jahre Frau ohne Schatten: Jubiläumsaufführung unter Thielemann

100 Jahre Frau ohne Schatten: Jubiläumsaufführung unter Thielemann

Dieses Werk, das ihre Schöpfer Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal als ihr Opus magnum betrachteten, ist die einzige Srauss-Oper, die an der Wiener Staatsoper uraufgeführt wurde, die zweite Fassung der Ariadne auf Naxos ausgenommen.

Die Uraufführung fiel 1919 in eine unter allen Aspekten schwierige Zeit. Das Ende des Ersten Weltkriegs hatte Österreich von einer europäischen Großmacht auf einen Kleinstaat reduziert. Die Hofoper war zur Staatsoper geworden und musste mit bescheideneren Mitteln als zuvor wirtschaften. Das traditionell konservative Wiener Publikum konnte sich anfangs nicht so recht mit dem tiefsinnigen und symbolträchtigen Märchen anfreunden, das Hofmannsthal erdacht hatte. Die Oper blieb lange Zeit ein Stiefkind innerhalb des Strauss’schen Werkes.

Einen sensationellen Erfolg hatte eine Produktion Herbert von Karajans zum Strauss-Jahr 1964, durch Karajans Bruch mit der Wiener Staatsoper erlebte sie allerdings nur zwei Aufführungen.

Zum 100. Geburtstag des Werkes, der mit der 150-Jahrfeier des Opernhauses am Ring zusammenfiel, studierte Christian Thielemann das Werk in einer Inszenierung von Vincent Huguet neu ein. Die nun erschienene Aufnahme ist ein Live-Mitschnitt der Premiere vom 25. Mai 2019.

Das größte Verdienst Christian Thielemanns bei dieser Aufführung ist die Öffnung sämtlicher Striche, die man seit der Uraufführung immer wieder vorgenommen hatte. So vollständig war das Werk noch nie zu hören, schon die Uraufführungs-Partitur im Archiv der Staatsoper ist übersät mit Strichen. Ein Grund für die zögerliche Rezeption der Oper sind auch die fünf schwer zu besetzenden Hauptrollen. Für die Wiener Neuinszenierung gelang es, führende Strauss-Sänger zu verpflichten.

Aber schon in den ersten Szenen der Oper wird klar, dass das Wiener Staatsopernorchester, sozusagen der verlängerte Arm der Wiener Philharmoniker, der eigentliche Star dieser Aufführung ist. Die polyphonen Strauss-Klänge sind diesem Klangkörper förmlich in die DNA eingebrannt, schließlich war Richard Strauss über längere Zeit ihr Chef, und die Pflege seiner Werke hat in Wien eine niemals unterbrochene Tradition. Ist man selbst Ohrenzeuge dieser Tradition gewesen, fällt einem die Begeisterung über die aktuelle Besetzung aber nicht so leicht.

Evelyn Herlitzius’ Porträt der Amme ist von brennender Intensität, ihre Identifikation mit der Rolle schließt auch scharfe und unschöne Töne ein, sie stehen aber immer im Dienste einer leidenschaftlichen Deutung dieser Rolle.

Die Kaiserin Camilla Nylunds ist da ein echter Widerpart. Ihr großer, makellos geführter Sopran meistert diese Rolle souverän. Nylund muss man beinahe schon als Phänomen bezeichnen, in den letzten Jahren hat die Sopranistin eine Omnipräsenz auf den europäischen Opernbühnen entwickelt, die erstaunlich ist. Bei aller Makellosigkeit ihrer Gesangslinie fehlt einem doch ein Quantum Persönlichkeit und Gestaltungswille. Ähnliches gilt für Nina Stemmes Rollendebüt als Färbersfrau, das für die schwedische Sopranistin im Herbst ihrer Karriere doch ein wenig spät kommt.

Den Geisterboten verkörpert Sebastian Holecek mit zuverlässigem Bass. Den Kaiser singt der bis heute führende Wagner- und Strauss-Tenor Stephen Gould, dessen kerniger Tenor in dieser Aufführung nicht in der besten Tagesverfassung zu sein scheint. Er meistert seine Partie zwar souverän, aber der ihm sonst durchaus eigene tenorale Strahl fällt ein wenig matt aus. Solide und rollendeckend interpretiert Wolfgang Koch Barak, den Färber. Diese menschlichste unter den Rollen dieser Oper bleibt bei ihm allerdings reichlich eindimensional.

Die kleineren Rollen sind aus dem Ensemble befriedigend bis gut besetzt.

Christian Thielemann schwelgt in den Strauss’schen Melodienbögen und musiziert alle Farben der Partitur genüsslich aus. Dass ihm die Tempi dabei zeitweise etwas zu breit geraten, nimmt man gerne in Kauf, betörend schön ist alles, was aus dem Orchestergraben dringt.

Auf den ersten Blick befremdet es, dass diese brandneue Produktion nur akustisch, und nicht als DVD aufgezeichnet wurde. Hat man allerdings diese Inszenierung live erlebt, weiß man warum das so ist. Der Regisseur Vincent Huguet hat eine völlig uninspirierte, mausgraue Inszenierung abgeliefert, die speziell in der Personenführung beinahe dilettantisch wirkt. Die auf drei CDs gebannte Aufführung bleibt von dieser Hypothek also verschont. Weniger ist manchmal mehr!

Orfeo C 991203

zuerst erschienen beihttp://www.klassik-begeistert.de

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