Vladimir Jurowskis „Missa Solemnis“ wird zu einem Manifest der Humanität

Vladimir Jurowskis „Missa Solemnis“ wird zu einem Manifest der Humanität

Kurz bevor das Konzert beginnt, wendet sich Vladimir Jurowski mit Worten an das Publikum, in denen er auf die aktuellen kriegerischen Auseinandersetzungen eingeht und auf Beethovens humanitäre Botschaft in diesem Werk verweist. Schließlich widmet er die Aufführung allen Opfern von Kriegen und Gewalt.

Die Missa solemnis, von Beethoven selbst als sein größtes und wichtigstes Werk bezeichnet, sprengt im Grunde den Rahmen einer Aufführung in sakralen Räumen. Seit ihrer Uraufführung 1824 in St. Petersburg erklingt sie deutlich häufiger in Konzertsälen. Die Anforderungen an Orchester, Chor und ganz besonders an die vier Solisten sind gewaltig, auch die Koordination des Apparates bedarf eines erfahrenen Kapellmeisters.

Alle Voraussetzungen waren an diesem Novemberabend erfüllt, konzentriert und gespannt wurde man mit einer Aufführung von höchster Qualität beschenkt. Der vorzügliche Rundfunkchor lief zu seiner Höchstform auf, besser kann man diese anspruchsvollen Chorpassagen nicht gestalten. Auch das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin stellte seine Meisterschaft unter Beweis. Ein besonderes Highlight war das Violinsolo im Benedictus, mit dem Konzertmeister Rainer Wolters in geradezu himmlische Sphären abhob.

Jurowski-Missa © PMeisel

Gediegen besetzt das Solistenquartett. Miah Perssons leuchtender Sopran verband sich harmonisch mit dem Tenor Sebastian Kohlhepps, der über ein Timbre und Ausdrucksspektrum verfügt, wie man es selten findet. Von gleicher, höchster Qualität die Altistin Samantha Hankey und der Bass Tareq Nazmi, die mit ihren dunkleren Stimmen zu der perfekten Klangmischung der Solopassagen beitrugen.

Was Beethoven seinen Sängern abverlangt ist fast übermenschlich, er behandelt die menschliche Stimme wie ein Instrument aus Holz oder Metall, damit können nur Künstler der ersten Garnitur umgehen. Gegen die Missa sind die Soli der 9. Symphonie fast noch ein Spaziergang.

In großen Aufführungen wie dieser bemerkt man auch die Sinnlichkeit, die in dieser Musik enthalten ist. Das gestörte Verhältnis des Komponisten zu seinem Glauben führt dazu, dass dem Preis des Ewigen auch ein großes Maß an weltlichen Gefühlen beigemischt ist.

Vladimir Jurowski bändigt den großen Apparat mit totaler Übersicht, da wackelt nichts, oder bleibt im Ungefähren. Ein Höhepunkt sind die markanten Paukenschläge und Wirbel im Agnus Dei, die man sowohl als traumatische Reminiszenz an von Beethoven erlebte Kriegshandlungen, aber auch als feierliche Ankündigung des Jüngsten Gerichts verstehen kann.

Ein Abend, von dem man viel in seine Gedanken über die kriegerischen Zeitläufte mitnehmen kann, und der in seiner Unbedingtheit ein starkes Signal setzt. Das Publikum wirkte am Ende bei aller Begeisterung verhalten. Das verwundert nicht bei der Tiefe des gerade Gehörten.

Ludwig van Beethoven
Missa solemnis

Miah Persson  Sopran
Samantha Hankey  Alt
Sebastian Kohlhepp  Tenor
Tareq Nazmi  Bass

Rundfunkchor Berlin
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
Vladimir Jurowski  Dirigent

Philharmonie Berlin, 12. November 2023

zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de

Menü schließen