Trockenübung der Bayerischen Staatsoper: La Bohème im menschenleeren Paris

Die Nöte der stillgelegten Opernhäuser führen zu manchmal etwas schrägen Veranstaltungen, die sämtlich aus der Not geboren sind. Die Bayerische Staatsoper beschert uns also eine Live-Bohème aus dem leeren Nationaltheater. Ganz so live ist sie dann aber doch nicht, sie wurde bereits am 27. November aufgezeichnet, und wird auch noch ein weiteres Mal gezeigt: am Donnerstag, 3. Dezember 2020, um 19 Uhr für 14,90 Euro (Video on demand).

Die mehr als ein halbes Jahrhundert alte Otto-Schenk-Inszenierung (Premiere am 14. Juni 1969) besticht nach wie vor durch schlüssige Personenführung und passendes Ambiente. Kritisch wird es allerdings im 2. Bild, der Straßenszene vor dem Cafe Momus. Bedingt durch das allgegenwärtige Virus und die Angst vor ihm, sind in dieser Szene nur die Solisten zu sehen, der Chor kommt aus dem off (oder vom Band?). So menschenleer hat man Paris auf der Bühne noch nie gesehen. Dass hier keine rechte Atmosphäre aufkommt, ist nicht verwunderlich.

Die Besetzung der Nebenrollen ist durchaus gut, der Marcello von Andrej Zhilikhovsky überzeugt vor allem mit Spielfreude, die Musetta Mirjam Mesaks bleibt relativ dezent, ihre große Szene im zweiten Bild verpufft etwas auf der leeren Bühne.

Ein wenig befremdlich ist die Besetzung der Hauptrollen. Die US-Amerikanerin Rachel Willis-Sorensen singt als Mimì zwar ausgezeichnet und sauber, ist von ihrer ganzen Anmutung her aber eher eine reife, mütterliche Figur, die zudem entgegen der Rolle vor blühender Gesundheit zu strotzen scheint.

Problematisch ist die Besetzung des Rodolfo mit Jonas Kaufmann. Dieser lyrischen, jugendlichen Rolle ist der sich derzeit auf allen Ebenen tummelnde „Startenor“ doch schon längst entwachsen. Beständig wechselt der Münchner zwischen stimmlicher Kraftmeierei, die er nicht ganz durchhält, und zurückgenommenen Passagen. In diesen deckt ihn der volle Sopran seiner Mimì deutlich zu. Eine recht unausgewogene Leistung, diese Rolle sollte Kaufmann zurücklegen.

Der Sänger muss sich fragen lassen, wohin er eigentlich will. Seine Plattenfirma hetzt ihn in immer neue Crossover-Projekte, die er dann (wenn nicht gerade Corona wütet) landauf, landab auch in Live-Konzerten präsentieren muss. Dafür sagt er dann einen Siegmund ab, taucht noch einmal als Senior-Rodolfo auf, an einem Haus an dem er in knapp sieben Monaten seinen ersten Tristan singen will. So eng und gepresst  wie der Rodolfo wird der hoffentlich nicht klingen. Hört man noch einmal in seine Plattenaufnahme der Butterfly hinein, die 2008 entstand, ist der Eindruck ein völlig anderer. Die Stimme strömt unangestrengt und frei, nichts vom Pressen und Quetschen, das inzwischen zu einem negativen Markenzeichen Kaufmanns geworden ist. Aber das war unzählige Auftritte früher. Der Vergleich sollte nicht zuletzt Kaufmann selbst zu denken geben.

Asher Fisch leitet die Aufführung konzentriert und umsichtig, zu einer Sternstunde vermag er sie allerdings auch nicht zu machen.

Es ist bezeichnend, dass auf der Website der Bayerischen Staatsoper unter der Besetzungsliste dieser Aufführung Kaufmanns Weihnachts-Doppel-CD „it’s Christmas!“ beworben wird – JK auf allen Kanälen, seine eingeschworene Fan-Gemeinde wird das freuen. Gut finden muss man es deshalb nicht.

zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de

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