Silvester in Wien ohne “Fledermaus“? Undenkbar!

Man muss der Wiener Staatsoper dankbar sein: Durch den Livestream einer „Fledermaus“ am Nachmittag des 31. Dezembers wendet sie das Undenkbare ab, nämlich an diesem Tag ohne Johann Strauss‘ erfolgreichste und beste Operette auskommen zu müssen.

Die geniale Musik allein kann es nicht sein, die dieses Bühnenwerk so besonders populär gemacht hat. Die eigentlich eher schlicht gestrickte Geschichte aus dem gehobenen Bürgertum des späten 19. Jahrhunderts auch nicht. Deren Höhepunkt, ein opulentes Fest beim russischen Fürsten Orlofsky, sprengt schon eher den Rahmen und gibt Gelegenheit zu einer geradezu orgiastischen Champagner-Seligkeit.

Das Interessanteste an dem Werk ist für mich aber der Subtext, die Entlarvung einer zutiefst korrumpierten Gesellschaft, in der jeder lügt, dass sich die Balken biegen, jeder vorgibt, etwas Besseres zu sein und in einem Gespinst von Unwahrheiten gefangen ist wie in einem Kokon, der dann am verkaterten Morgen danach aufbricht, um nur wieder neuer Verlogenheit den Boden zu bereiten. Johann Strauss hat damit unwissentlich einen verfrühten Abgesang auf die sterbende Donaumonarchie geschrieben, seine Figuren taumeln champagnerselig dem Untergang ihrer Gesellschaftsschicht entgegen.

Das alles vor leerem Haus mit dem notwendigen Esprit umzusetzen war eine schwierige Aufgabe für alle Beteiligten, aber es gelang weitgehend. Die alte, aber immer noch stimmige Inszenierung Otto Schenks bietet zwar keine Überraschungen, ist aber grundsolide und bietet den Darstellern Gelegenheit, sich je nach Temperament zu präsentieren.

Die Besetzung dieser ungewöhnlichen Silvester-Aufführung war für das Haus nicht unbedingt repräsentativ, ließ sich letztlich aber doch zu einem stimmigen Ensemble formen, was nicht zuletzt dem spritzig temperamentvollen Dirigat von Cornelius Meister zu danken ist.

Regula Mühlemann ist ein kokettes Stubenmädel Adele, gesanglich bleiben bei ihr keine Wünsche offen, darstellerisch glaubt man ihr die „Künstlerin Olga“ eher als die Hausangestellte.

Die eher undankbare Tenorpartie des Alfred fand in Michael Laurenz einen ausgesprochen schön singenden Interpreten. Der Auslöser des intriganten Spiels, Dr. Falke, wird von Martin Häßler mit solidem Bariton gegeben, Jochen Schmeckenbechers Gefängnisdirektor Frank besticht mit beweglichem Bariton und Spielfreude. Okka von der Damerau, ein gestandener Mezzosopran, lässt als Prinz Orlofsky ausgesprochen schöne Töne hören, als Figur bleibt sie leider ein wenig blass.

Deutlich über ihrem Zenit scheint die Rosalinde Camilla Nylunds zu sein. Die Sopranistin, deren Omnipräsenz auf internationalen Bühnen und Konzertpodien fast schon an die Existenz von Klons denken lässt, verfügt über Üppigkeit mehr im figürlichen, als stimmlichen Sinne. Der berühmte Czardas, die Gelegenheit dieser Figur, über eine dumme Gans hinaus so etwas wie eine Biographie zu entwickeln, verpufft wirkungslos.

Ein Vergnügen ist der Eisenstein Georg Nigls. Nicht nur, dass er als offenbar einziger Wiener der Besetzung in den Dialogen den originalen Ton trifft, er singt auch jede Phrase seiner Partie aus, bei ihm hört man Töne, die bei anderen Darstellern dieser Rolle häufig unter den Tisch fallen. Chapeau!

Im heiklen Gefängnis-Akt beweist Peter Simonischek einmal mehr, dass sich Humor und Komik auch jenseits von Klamauk realisieren lassen.

Rundum eine geglückte Aufführung, der mit dem Publikum im Saal und ausbleibenden Überraschungsgästen bei Orlofsky aber dann doch der letzte atmosphärische Kick fehlte.

Johann Strauss, Die Fledermaus

Wiener Staatsoper Livestream vom 31. Dezember 2020

Gabriel von Eisenstein – Georg Nigl
Rosalinde – Camilla Nylund
Frank – Jochen Schmeckenbecher
Prinz Orlofsky – Okka von der Damerau
Alfred, ein Tenor – Michael Laurenz
Dr. Falke – Martin Häßler
Adele – Regula Mühlemann
Frosch – Peter Simonischek
Dr. Blind – Robert Bartneck
Ida – Ileana Tonca
Iwan – Jaroslav Pehal

Dirigent, Cornelius Meister

zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de

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