Rossini-quer durch die Rezeptionsgeschichte

Rossini-quer durch die Rezeptionsgeschichte
© Warner Classics

Warner Classics hat den 150.Todestag des Komponisten Gioachino Rossini zum Anlass genommen, den „Schwan von Pesaro“ mit einer groß angelegten, 50 CDs umfassenden Edition zu ehren.

Warner konnte dabei auf das reiche Vermächtnis der übernommenen EMI-Backlist zurückgreifen, was nicht nur ökonomisch interessant war, vielmehr auch ein breites historisches Spektrum an Aufnahmen und Künstlern bietet. Die einzelnen Einspielungen sind in einem Zeitraum von über sechzig Jahren entstanden und ermöglichen so einen interessanten Überblick über die Entwicklung der Rezeptionsgeschichte Rossinis. Bis in die 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts war der Kanon seiner regelmäßig aufgeführten Werke recht überschaubar. Über den Barbier von Sevilla hinaus konnte sich keine seiner Opern dauerhaft im Spielplan halten, gerne wurde seine Musik auch als „Nähmaschinenmusik“ verunglimpft. Beginnend etwa in den 1970er-Jahren wuchs das Interesse an den bisher vernachlässigten Werken, die Gründung des Rossini-Festivals in seinem Geburtsort Pesaro 1980 war ein weiterer Meilenstein in der Wiederentdeckung des Komponisten.

Bei den ältesten hier enthaltenen Aufnahmen kann man noch hören, wie anders man früher Rossini besetzte: häufig wurden große, an Verdi und Puccini geschulte Stimmen herangezogen, was automatisch zu einer Vergröberung des Stils führte. Erst allmählich entwickelte sich ein neuer, am historischen Vorbild orientierter Zugang zu dieser Musik.

Die insgesamt vierzehn komplett in der Box enthaltenen Opern können naturgemäß nur eine Auswahl des nahezu vierzig Bühnenwerke umfassenden Oeuvres Rossinis wiedergeben. Die Chronologie der Aufnahmen folgt jener der Uraufführungsdaten. Zur ihrer Würdigung bietet sich aber eher die zeitliche Abfolge der Einspielungen an.

Der Turco in Italia von 1954 hat nicht zuletzt durch die Mitwirkung von Maria Callas längst Kultstatus erreicht. Obwohl dem Dirigat von Gianandrea Gavazzeni vielleicht die federnde Leichtigkeit späterer Aufnahmen fehlt, ist die Besetzung mit einem hörbar blutjungen Nicolai Gedda und Größen wie Mariano Stabile und Nicola Rossi-Lemeni immer noch beeindruckend. Ebenfalls in den 50er-Jahren entstanden sind die Einspielungen von Le Comte Ory und La Cenerentola , beides im Studio aufgenommene, aber vom Glyndebourne Festival stammende Produktionen, von Vittorio Gui dirigiert und mit Sängern z.T. noch der Vorkriegszeit, wie Alda Noni und Sari Barabas, besetzt. Hier begegnet man noch dem Interpretationsstil, der uns heute reichlich antiquiert erscheint. Allerdings ist es dem Glyndebourne Festival zu danken, sich in dieser Zeit für die fast vergessenen Werke eingesetzt zu haben, erst die Gründung des Rossini-Festivals in Pesaro brachte eine endgültige Rossini_Renaissance ins Rollen. Tancredi von 1978 mit der schlank und agil singenden Fiorenza Cossotto und dem deutschen Tenor Werner Hollweg, der erstaunlich viel Italianita entwickelt, klingt schon sehr viel mehr dem heutigen Stil angenähert. Ein wenig aus dem Rahmen fallen  der Barbiere und L’assedio di Corinto , von 1974/75, dirigiert von James Levine und dem viel zu früh verstorbenen Thomas Schippers. Diese Aufnahmen sind ganz  auf Beverly Sills zugeschnitten, bieten aber auch sonst gute Besetzungen, so den unverwüstlichen Nicolai Gedda. In den Aufnahmen der 80er-Jahre begegnet man jenen Sängern, die unser heutiges Rossini-Bild nachhaltig geprägt haben. Gabriele Ferro, Claudio Scimone und Donato Renzetti gehörten damals zu den führenden Rossini-Dirigenten. La scala die seta, L’italiana in Algeri, Ermione und Zelmira, sowie Bianca e Falliero wurden mit Marilyn Horne. Samuel Ramey, Cecilia Bartoli, Chris Merritt,Cecilia Gasdia, Simone Alaimo, um nur die Wichtigsten zu nennen, eingespielt. Eine besondere Stellung nimmt der Guillaume Tell von 1982 ein. Es ist bis heute die Referenzaufnahme dieses Spätwerkes. Gabriel Baquier, Montserrat Caballe und Nicolai Gedda unter Lamberto Gardelli schöpfen hier aus dem Vollen und bieten große Oper in Vollendung. Eine Semiramide von 1992 mit Iano Tamar und Gregory Kunde sowie L’inganno felice mit Annick Massis und Raul Gimenez unter Mark Minkowski von 1996 sind die jüngsten unter den hier versammelten Einspielungen.

Auf die in Gesamtaufnahmen enthaltenen Opern folgt ein Mitschnitt der New Yorker Rossini-Gala anlässlich seines 200. Geburtstages 1992. Trotz der Mitwirkung von Rossini-Spezialisten wie Marilyn Horne, Frederica von Stade, Rockwell Blake und Chris Merritt kann das von Roger Norrington dirigierte Programm nicht überzeugen. Neben den Genannten verblassen aber die anderen Sänger und auch die Auswahl der präsentierten Stücke ist suboptimal.

Joyce DiDonato, gegenwärtig die vielleicht beste Interpretin dieser Musik ist mit dem Album Colbran, the Muse prominent vertreten, gefolgt von nicht weniger als drei Original-Alben mit Rockwell Blake, jenem Tenor der wie kein anderer für den neueren Rossini-Stil steht, ihn mit seiner agilen, leicht geführten Stimme mit begründet hat. Die unschlagbare Marilyn Horne ist mit einem Soloalbum sträflich unterrepräsentiert,  dafür aber in einigen der kompletten Opern zu hören. Die nächsten drei CDs bieten eine Auswahl verschiedener Nummern und Interpreten, deren Auswahl nicht immer leicht nachzuvollziehen ist, aber ein breites Spektrum von Interpretationen quer durch die Jahrzehnte der jüngeren Schallplattengeschichte bietet.

Die wichtigsten geistlichen Werke Rossinis dürfen in dieser Edition natürlich nicht fehlen. Das Stabat Mater und die Petite Messe solenelle sind neuere Einspielungen. Antonio Pappanao ist der Dirigent der Accadenia Nazionale di Santa Cecilia, mit Anna Netrebko, Joyce Di Donato und Maria Rebeka sind die Sopranpartien prominent besetzt, wobei Netrebko im exponierten Inflammatus nicht ganz überzeugen kann. In der sehr viel älteren Aufnahme der Messa di Gloria gebührt die Palme den beiden Tenören Francisco Araiza und Robert Gambill, die bestens harmonieren.

Die drei letzten CDs bleiben ausgewählten Stücken der Kammermusik vorbehalten. Die Solisti Veneti unter Claudio Scimone nehmen sich mit Esprit und Spielfreude der sechs Sonaten für Streicher an, auch mit seiner Kammermusik beweist der Komponist seine Klasse und muss keinen Vergleich mit Zeitgenossen scheuen. Die bezaubernde Orchestersuite La Boutique fantasque erklingt in einer historischen Aufnahme unter Sir Eugene Goossens, der Pianist Aldo Ciccolini steuert die Peches de viellesse bei, vier Quartette für Flöte, Klarinette, Horn und Fagott und ein Klarinettenkonzert mit Sabine Meyer beschließen diese reichhaltige Liebesgabe an Rossini. Trotz des umfangreichen Inhalts vermisst man doch manches Werk, auch einige der gegenwärtig prominentesten Rossini-Stimmen, wie etwa Juan Diego Florez, aber das dürfte wohl den nicht kompatiblen Plattenverträgen geschuldet sein. Größtes Plus ist der historisch weit gespannte Bogen der Einspielungen, der immerhin von Maria Callas bis Anna Netrebko reicht.

Ad multos annos, Gioachino!

Zuerst erschienen bei www.orpheus-magazin.de

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