„Orfeo ed Euridice“ an der Komischen Oper Berlin: Gesangskunst triumphiert über Regie-Tristesse

„Orfeo ed Euridice“ an der Komischen Oper Berlin: Gesangskunst triumphiert über Regie-Tristesse
Orfeo ed Euridice (2022, Michieletto) Rezensionsmotiv

Kaum erklingen die ersten Töne von Glucks unsterblicher Musik aus dem Graben, der optische Schock: eine leere Bühne, tristes Grau und ein Paar, das offenbar im Begriff ist, sich zu trennen. Die Frau öffnet sich die Pulsadern, das nächste Bild zeigt einen Klinikflur, bevölkert von Kranken, deren Besuchern, und Ärzten. Die Frau ist gestorben, und der Witwer Orfeo beginnt seine Klage um die verlorene Euridice. Für die weitere szenische Umsetzung des Stoffes lässt man alle Hoffnung fahren, es bahnt sich einer jener ernüchternden Opernabende an, an denen dieser der Schönheit verpflichteten Kunstform Gewalt angetan wird.

Schlagartig wendet sich das Blatt, als Orfeo in die Unterwelt hinabsteigt, um dort seine Euridice zurückzugewinnen. Er trifft dort auf die Geister Verstorbener, die wie ein Klumpen, in schwarze Säcke gehüllt, den Eindringling bedrohen. Die sich in der Folge ergebende Szene zwischen Orfeo, Euridice und dem Chor ist ein bis zur Klaustrophobie verdichtetes Kammerspiel und versöhnt sofort mit den bis dahin gezeigten Klischees.

Nach dem erneuten Verlust Euridices finden wir uns leider wieder schnell auf dem tristen Krankenhausflur wieder. Nachdem Amor für das endgültige Happy-End gesorgt hat erleben wir ein choreographisches Verwirrspiel, in dem Orfeo mit insgesamt vier Figuren der Euridice einen wilden Tanz bestreitet. Das ist ungewöhnlich, nicht ohne Reiz, sprengt aber doch ein wenig den Rahmen des Stückes. So bleibt neben wenigen starken Momenten die Regie  von Damiano Michieletto doch eher unbefriedigend.

Mehr als entschädigt wird man durch die musikalische Realisierung dieser Aufführung. Das Orchester der Komischen Oper ist ein baraock-erfahrenes Ensemble, was man nach den ersten Takten wieder einmal feststellen kann. An diesem Abend gibt der britische Dirigent David Bates sein Hausdebüt, so feurig wie er Glucks Partitur umsetzt, wünscht man sich bald weitere Begegnungen mit ihm. Die fast schon legendären Chorsolisten der Komischen Oper kommen diesmal nicht zum Einsatz, der pandemie-bedingt aus den Fugen geratene Spielplan machte die Verpflichtung des Vocalconsort Berlin nötig, der aber an Spielfreude und Exaktheit jenem nicht nachsteht.

Die Rolle des Amor hat man mit dem Mitglied des Opernstudios, Josefine Mindus besetzt. Ihr frischer, agiler Sopran und ihre Spielfreude lassen auf zukünftige größere Aufgaben hoffen. Eine sichere Bank ist ebenfalls Nadja Mchantaf als Euridice, bereits in mehreren Rollen am Haus erfolgreich und auch diesmal mit ihrem klaren lyrischen Sopran ein akustisches Labsal.

Eine Aufführung dieser Oper steht und fällt aber mit der Besetzung des Orfeo. Lange wurde diese Partie ausschließlich Mezzosopranen anvertraut, erst die Aufrüstung der Countertenöre zu immer neuen, höheren Qualitätsstandards hat da eine Veränderung eingeleitet. Der bereits international erfolgreiche junge Italiener Carlo Vistoli feiert mit dieser Rolle sein Debüt an der Komischen Oper Berlin, dem Schlussapplaus zufolge will ihn das Berliner Publikum auch gar nicht wieder fort lassen. Man ist begeistert von so viel stimmlicher Kultur, technischer Perfektion, Spielfreude und auch noch attraktivem Aussehen. Ein seltenes Zusammentreffen!

Nicht zuletzt dank seiner Spitzenleistung fällt die Gesamtbilanz dieses Premierenabends doch positiv aus, der Beifall am Ende will kein Ende nehmen, die Protagonisten haben ihn auch wirklich verdient.

Copyright: Iko Freese/drama-berlin.de

Komische Oper Berlin, 23. Januar 2022

Christoph Willibald Gluck, Orfeo ed Euridice

Carlo Vistoli (Orfeo)Nadja Mchantaf (Euridice)Josefine Mindus (Amore)

Vocalconsort Berlin

Orchester der Komischen Oper Berlin
David Bates Dirigent
Damiano Michieletto Inszenierung

zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de

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