Michael Spyres setzt den Saal unter Strom: Bravissimo, Tenorissimo!

Michael Spyres setzt den Saal unter Strom: Bravissimo, Tenorissimo!

Der amerikanische Tenor, genauer gesagt Baritenor, Michael Spyres versetzt die Klassikszene seit einigen Jahren mit seinen vokalen Leistungen in Begeisterung. Der Sänger hat sich ein Repertoire erarbeitet, das ebenso ungewöhnlich wie reizvoll ist. Sein Schwerpunkt liegt auf barocker, virtuoser Literatur – wer aber meint, Spyres darauf reduzieren zu können, greift zu kurz. Auch Partien in Opern Richard Wagners sind bereits im Fokus von Michael Spyres, gespannt darf man von diesem charismatischen Künstler noch viele Überraschungen erwarten.

Der Abend im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie war allerdings beschränkt auf das Repertoire seiner jüngsten CD „Contra-Tenor“, die seit kurzem im Handel ist. Wobei „beschränkt“ sicher nicht das richtige Wort ist für jenes Feuerwerk vokaler Raffinessen, mit denen der Sänger aufwartete. Den Komponisten der Barockzeit standen Interpreten zur Verfügung, deren Virtuosität und technische Fähigkeiten weit über die heutigen Standards hinausgingen. Künstlern wie Michael Spyres kommt das Verdienst zu, solche verloren geglaubten Qualitäten neu zu entwickeln, und so bestimmte Werke wieder aufführbar zu machen.

Die Agilität von Spyres’ Stimme ist unglaublich, scheinbar mühelos wechselt er zwischen den hohen und tieferen Registern, sekundenschnell gelingen ihm die Registerwechsel und Oktavsprünge. An solche Stimmen dachten Händel, Vivaldi und Hasse, als sie ihre Arien schrieben, dank Spyres meint man sie zum ersten Mal auch wieder authentisch interpretiert zu hören.

Der Tenor arbeitet häufig mit dem Ensemble Il pomo d’oro und seinem Leiter Francesco Corti zusammen, mit dem er auch die aktuelle CD eingespielt hat. Es handelt sich dabei um eine kleine Gruppe von Instrumentalsolisten, die auf Instrumenten der Zeit spielen und für die Authentizität des originalen Klanges stehen. Zwischen den Arien bringen sie Concerti von Vivaldi, Galuppi und Sammartini zu Gehör und stellen ihre Virtuosität damit unter Beweis.

Il pomo d’oro (Foto: Julien Mignot)

Spätestens nach der dritten Arie hat Spyres das Publikum im Sturm genommen, der Applaus steigert sich bis zum lauten Bravo, am Ende will man den sympathischen Amerikaner gar nicht mehr vom Podium lassen. Zwei Zugaben lässt er sich abringen, steht danach aber auch noch für Fragen aus dem Publikum zur Verfügung. Er erzählt von seiner Herkunft aus einer Kleinstadt in Missouri, seinem weiten Weg zum Operngesang und gibt auch viel von seinem künstlerischen Credo preis, das keine Grenzen des Faches und der Stilrichtungen kennt. Konsequent steuert er auch die Opern Richard Wagners an, im nächsten Jahr wird er bereits den Lohengrin in Strasbourg singen.

Ein Wort noch zu dem unglückselig fehlgeplanten Kammermusiksaal. Mit 1136 Sitzen ist er für intimere Kunstformen viel zu groß geraten, die Akustik ist auch nur auf den teuren Plätzen gut. Man ist wohl dazu übergegangen, mehrere Segmente des Saals gar nicht in den Verkauf zu geben, trotzdem muss es für jeden Künstler ein Schock sein, vor einem halb leeren Saal aufzutreten. Am Ende muss sich Michael Spyres aber von der Begeisterung des Publikums doch getragen gefühlt haben. Im September kehrt er für eine konzertante Aufführung der „Trojaner“ von Berlioz nach Berlin zurück, nach diesem großartigen Konzert ist die Erwartung dafür groß!

Michael Spyres (Foto: Marco Borrelli)

Tenore Assoluto

Michael Spyres  Tenor

Il pomo d’oro
Francesco Corti  Cembalo und Leitung

Arien und Concerti von Händel, Vivaldi, Galuppi, Rameau, Hasse u.a.

Kammermusiksaal der Philharmonie Berlin, 23. Mai 2023

zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de

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