Seit ihrer Auszeichnung beim Operalia-Wettbewerb 2015 in London gilt die Norwegerin Lise Davidsen als Geheimtipp für das jugendlich-dramatische Sopranfach, mit dem Schwerpunkt auf den Opern Richard Wagners.
Nur vier Jahre später sind manche der Versprechen bereits eingelöst, Davidsen sang 2019 bei den Bayreuther Festspielen die Elisabeth im Tannhäuser, im nächsten Jahr wird der grüne Hügel ihr Sieglinden-Debüt erleben, und mit ersten Auftritten als Fidelio-Leonore ist der Weg in die Königsdisziplin des hochdramatischen Sopranfaches eingeleitet.
Ungewöhnlich prominent und medial reichlich unterstützt wird auch Davidsens Einstand bei der gediegenen Decca zelebriert, die allerdings auch nur noch Teil des Universal-Konzerns ist. Klugerweise verzichtet die Sängerin bei der Gestaltung des Programms der CD auf Stücke, die sie noch nicht live gesungen hat. Hallenarie und Gebet der Elisabeth aus „Tannhäuser“ machen bereits deutlich, wie groß dimensioniert Davidsens dunkel leuchtender Sopran ist. Ihr Timbre strahlt Wärme aus und es gelingt ihr, die Spitzentöne organisch aus der Mittellage zu entwickeln.
Der Monolog der Ariadne gelingt ebenfalls vorzüglich, der gefürchtete „Hermes“-Sptzenton stellt einen Höhepunkt der gesamten CD dar, er gelingt der Sängerin sensationell gut. Auch der Rest der CD ist Richard Strauss gewidmet, dessen spätromantische Klangwogen Davidsen in ihrem Element finden. Die berühmten 4 Orchesterlieder op.27, ein Hochzeitsgeschenk von Strauss an seine Ehefrau Pauline, werden stellenweise fast von dem temperamentvoll aufspielenden Philharmonia Orchestra unter Esa-Pekka Salonen erdrückt, hier hat die Sopranistin zeitweise Mühe, sich gegen die Orchesterflut durchzusetzen. Im Wiegenlied kann sie eindrucksvoll zeigen, dass auch ihr Piano tragfähig und wohlklingend ist. „Malven“ hingegen leidet doch deutlich an der problematischen Textbehandlung Davidsens, an der die Künstlerin unbedingt noch arbeiten sollte.
Die vier letzten Lieder schließlich, 1950 von Davidsens Landfrau Kirsten Flagstad unter Furtwängler uraufgeführt, sind über die Jahrzehnte zum beliebten Schaustück für ambitionierte Sopranistinnen geworden. Auch Lise Davidsen enttäuscht hier nicht, obwohl das Orchester bei diesen Stücken auf einmal etwas mulschig klingt und einen etwas zu breiigen Klangteppich für die Sängerin ausbreitet. Im ersten, extrem hoch liegenden Lied „Frühling“ wirken die hohen Töne etwas mühsam gestemmt, was aber auf dieses Lied beschränkt bleibt. „Im Abendrot“ dieser schönheitstrunkene Abgesang auf das Leben gelingt ausgewogen und sicher.
Man kann der jungen Sängerin nur empfehlen, an der Textbehandlung und auch an ihrer Technik noch etwas weiter zu arbeiten, ehe der Starruhm sie überrollt, und keine Zeit mehr für die Adjustierung gewisser Feinheiten bleibt. Diese erste CD sieht Davidsen aber schon auf erfreulich hohem Niveau. Wenn es auch noch zu früh ist, die Sängerin auf dem Thron der führenden Hochdramatischen zu sehen, ist zumindest ein Schritt in diese Richtung getan und man kann ihr zumindest die Rolle einer Kronprinzessin zugestehen.
DECCA 483 4883