Als man den Zuschauerraum der Komischen Oper betritt, steht der Vorhang weit offen, man sieht ein Fitness-Studio, in dem säuberlich getrennt nach Geschlechtern auf zwei Etagen workout betrieben wird. Damit ist eigentlich klar, dass diese Optik für den Abend nichts Gutes verheisst. Zum Klang der Ouvertüre wird rhythmisch geturnt, natürlich sind auch bereits die Protagonisten unter den Selbstoptimierern zu erkennen.
Der nächste Schock stellt sich ein, als der Gesang beginnt. Durch die unselige Zwischendecke des Bühnenbildes singen die Sänger wie aus einer Schuhschachtel, und so klingt es auch den ganzen Abend. Das Fitness-Studio ist aber nur der Auftakt für die komplette Aktualisierung und damit Banalisierung der Handlung. Der Regisseur Kirill Serebrennikov führt uns in eine öde, den Zeitgeist spiegelnde Gesellschaft, die sich zwischen der körperlichen Optimierung im Studio, dem Wohnen in kühlen Designermöbeln und einem Liebesleben, dass sich in Tinder-Dates erschöpft. Da steht der geniale Lorenzo Da Ponte natürlich auf verlorenem Posten, und der Charme und die Delikatesse seines Librettos sind das erste Opfer dieses Abends. Das genaue Lesen des Textbuches hätte Serebrennikow vor den gravierenden logischen Fehlern seiner Inszenierung bewahrt, aber vielleicht waren die ja sogar gewollt.
Nachdem in der Abschiedsszene der Verlobten, schnell einmal zur Kopulation die Hose herunter gelassen wird, bekommt man zum Soldatenchor sehr authentisch wirkende Kriegsvideos zu sehen. In diesen Zeiten vielleicht keine so gute Idee.
Anschließend wird man Zeuge einer Trauerfeier in einem Krematorium, den Bräuten werden danach die Urnen ihrer Liebsten überreicht, aber der Clou der entstellenden Inszenierung steht da noch bevor: die um die Gunst der Schwestern buhlenden Fremden werden nicht von den verkleideten Verlobten gespielt, sondern werden als eigenständige stumme Rollen eingeführt, südlandische Muskelpakete verkörpern von da an die neuen Partner, die Sänger sind gleichzeitig auf der Bühne und singen wie vorgesehen. An diesem Punkt zerstört der Regisseur das Stück endgültig, denn der Reiz der Handlung liegt ja gerade in dem Kammerspiel der sechs handelnden Personen , den Mädchen die den Verlobten der anderen nicht erkennen, aber bei Serebrennikov ist die Bühne auf einmal zu voll, und die Logik auf der Strecke geblieben.
Der Flirt mit den neuen Bekanntschaften führt hier geradewegs ins Bett, an nackter Haut wird nicht gespart. Besonders „geschmackvoll“, dass in eine Generalpause der letzten Fiordiligi-Arie ein Lustschrei ihrer Schwester Dorabella platzt, die sich eine Etage höher gerade im Bett vergnügt.
Despinas Auftritte als Arzt und Notar werden völlig verschenkt, weder verstellt die Sängerin ihre Stimme, noch ist sie verkleidet, aber das ist in dem gesamten Ärgernis dieser Inszenierung nur eine von vielen Unstimmigkeiten.
Der größte Vorwurf an die Regie ist aber, dass sie in so krassem Gegensatz zu Mozarts fein ziselierter Musik zu dem Stück steht, dass nach dem Librettisten Da Ponte auch der Komponist Mozart beschädigt wird. In der grotesk bombastischen, orientalisch stilisierten Hochzeitsszene wird auf einmal eine Passage aus dem Finale des Don Giovanni eingeschoben. Kommentar überflüssig.
Vor dem Hintergrund dieser beliebigen, seichten Inszenierung hat es die Musik schwer. Speziell der zweite Teil gerät etwas zäh, aber das liegt nicht an dem temperamentvollen, stimmigen Dirigat der Wiener Dirigentin Katharina Müllner, die entgegen dem Regisseur die federnde Leichtigkeit herstellt, die diesem Werk gut ansteht.
Die Fiordiligi singt Nadja Mchantaf ausdrucksstark und engagiert, hat aber stellenweise kleine Probleme mit der tückischen Tessitura ihrer Partie. Sauber und mit schönem Mezzo hören wir Susan Zarrabi als ihre Schwester Dorabella, Alma Sadé als Despina klingt ein wenig überfordert und bleibt als Figur blass. Die Freunde Guglielmo und Ferrando werden von Hubert Zapior und Caspar Singh sehr gut gesungen, ihre jeweiligen Arien gelingen vortrefflich. Eine kleine Enttäuschung ist diesmal der Alfonso von Günter Papendell, der ein wenig rau und heiser klingt. Rechte Freude will bei dieser Aufführung aber nicht aufkommen, einmal mehr erschlägt eine unpassende Regie das Werk. Dem Programmheft kann man mit Schrecken entnehmen, dass Serebrennikov am Haus in den nächsten Jahren auch den Figaro und den Don Giovanni inszenieren soll. Er wird uns dann sicher zeigen, was er bei diesen Opern nicht verstanden hat.
Am Ende erstaunlich große Zustimmung, aber die war wohl mehr Mozart und den Sängern zugedacht.
Foto: Cosi fan tutte (c) Monika Rittershaus
Wolfgang Amadeus Mozart
Cosi fan tutte
Dramma giocoso in zwei Akten [1790]
Libretto von Lorenzo Da Ponte
Chorsolisten der Komischen Oper Berlin,
Es spielt das Orchester der Komischen Oper Berlin
Katharina Müllner Dirigentin
Kirill Serebrennikov, Inszenierung, Bühnenbild und Kostüme
Fiordiligi Nadja Mchantaf
Dorabella Susan Zarrabi
Guglielmo
Hubert Zapior
Ferrando Caspar Singh
Despina Alma Sadé
Don Alfonso Günter Papendell
Komische Oper Berlin, Premiere am 11. März 2023
zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de