Auch diese Premiere der Berliner Staatsoper konnte bedingt durch die Pandemie nur vor leerem Haus als Lifestream stattfinden. Dankbar greift man auf diese Möglichkeit zurück, besser als gar keine Oper ist das Bildschirmerlebnis allemal.
Offenbar hat sich der Regisseur Damiano Michieletto für das Thema Reduktion als Programm entschieden. Ein Bühnenbild im eigentlichen Sinn gibt es nicht, der Bühnenraum ist durch Milchglaswände begrenzt, auf Sitzbänken und Tischen sind Gegenstände zu sehen, die jeweils einer der handelnden Personen zuzuordnen sind. Bei der Küsterin sind es sakrale Gegenstände und Kerzen.
Dörfliches Ambiente wird ausgespart, insgesamt verträgt das anrührende Drama um das junge Mädchen Jenufa diese radikal entkernte Lesart aber gut, das komplizierte Beziehungsgeflecht der handelnden Personen wird in der ausgefeilten Personenregie gut nachvollziehbar dargestellt. Die Kostüme Carla Tetis, zumeist schlichte Alltagskleidung waren nicht alle stimmig, warum der fesche Stewa einen hässlichen Tarnanzug tragen muss, obwohl er doch gerade dem Militär entronnen ist, bleibt offen.
Ab dem zweiten Akt hängt ein Felsblock über der Szene, der sich später als tropfender Eisblock entpuppt, ein beklemmendes Symbol für Bedrohung und Erstarrung. Am ehesten vermisst man im zweiten Akt die Struktur eines definierten Raumes, die Handlung spielt sich in diesem Fall ja in einer Kammer ab. Michieletto hat wohl intensiv mit allen Darstellern gearbeitet, es gelingt ein vorzügliches Kammerspiel, das bis in die kleinsten Rollen überzeugt.
Ein wenig problematisch ist die Besetzung im Falle Camilla Nylunds. Die Sopranistin hat stimmlich mit der Rolle der Jenufa kein Problem, aber ein junges Mädchen kauft man der Fünfzigerin + nicht mehr ab. Evelyn Herlitzius verkörpert die Küsterin mit der ihr eigenen brennenden Intensität, in Spiel und Gesang hoch konzentriert wird sie zum Zentrum des Abends. Ihr zur Seite die unverwüstliche Hanna Schwarz als alte Buryovka mit Spielfreude und immer noch tragfähigem Mezzosopran. Die Stiefbrüder Stewa und Laca waren stimmlich und typmäßig völlig konträr besetzt, was für die Glaubwürdigkeit der Handlung wichtig ist. Gibt Ladislav Elgr den feschen Draufgänger Steva, so ist Stuart Skelton der täppische, aber im Kern herzensgute Laca. Beide verfügen über kräftige Tenorstimmen, Elgr hat die schlankere, Skelton die größere. Die kleinen Nebenrollen waren aus dem Ensemble gut bis ausreichend besetzt.
Eine Konzession an die Corona-Bestimmungen war die Platzierung des Chores im leeren Zuschauerraum. Dadurch wurde wieder schmerzlich bewusst, dass man aus dem Opernhaus ausgesperrt ist.
Sir Simon Rattle waltete am Pult umsichtig und konzentriert. Janacek scheint ihm zu liegen, und so gelang eine Aufführung von großer Geschlossenheit und Intensität.
Leos Janacek, Jenufa
Staatsoper Unter den Linden, Livestream, 13. Februar 2021
Musikalische Leitung Simon Rattle
Inszenierung Damiano Michieletto
Bühnenbild Paolo Fantin
Kostüme Carla Teti
DIE ALTE BURYJOVKA Hanna Schwarz
LACA KLEMEŇ Stuart Skelton
ŠTEVA BURYJA Ladislav Elgr
DIE KÜSTERIN BURYJOVKA Evelyn Herlitzius
JENŮFA Camilla Nylund
ALTGESELL Jan Martiník
RICHTER David Oštrek
FRAU DES RICHTERS Natalia Skrycka
KAROLKA Evelin Novak
SCHÄFERIN Aytaj Shikhalizada
Barena Adriane Queiroz
Jano Victoria Randem
Base Anna Kissjudit
zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de