Grauns “Silla”: Sieben Solisten verschmelzen zu einem exquisiten Ensemble schieren Wohlklangs und individueller Stimmfarben

Grauns “Silla”: Sieben Solisten verschmelzen zu einem exquisiten Ensemble schieren Wohlklangs und individueller Stimmfarben

Diese 1753 im Königlichen Opernhaus Unter den Linden in Berlin uraufgeführte Oper Grauns, der zu den besonderen Lieblingen Friedrich II. zählte, musste 240 Jahre auf eine Wiederbelebung warten, die nun im letzten Jahr bei den Innsbrucker Festwochen stattfand.

Obwohl das Werk eindeutig der Gattung der Opera Seria zuzurechnen ist, erstaunt es durch die emotionale Tiefe, die für Opern dieser Zeit nicht unbedingt typisch ist. Speziell der zweite Akt gerät zu einem Feuerwerk hoch emotionalen Gesanges. Die Handlung, die im Wesentlichen die Läuterung eines Diktators beinhaltet, entspricht den Konventionen des zeitgenössischen Musiktheaters, ist aber für die Epoche vor Mozart in diesem Fall aber erstaunlich „modern“ in ihrer musikalischen Sprache.

Der größte Reiz des Werkes für den heutigen Zuhörer ist die Besetzung mit nicht weniger als drei Countertenören, einem Sopranisten, zwei Sopranen und einem Tenor. Diese sehr spezielle vokale Aufstellung ermöglicht aber Interpretationen von hoher Individualität und mischen sich in Duetten auf reizvollste Art.

Die bei den Innsbrucker Festwochen 2022 erstmals gezeigte Produktion wurde im August letzten Jahres eingespielt und wurde inzwischen auch im Schloss Rheinsberg aufgeführt. Die Besetzung, die in Innsbruck zur Verfügung stand, bestand aus Spitzensängern der barocken, speziell der Counter-Szene. Allen voran Bejun Mehta in der Titelrolle des römischen Diktators, der alle Register seines schlanken Countertenors zieht, Valer Sabadus als  Ratsherr Metello und Hagen Matzeit als Lentulo unterscheiden sich im Timbre deutlich und demonstrieren, wie unterschiedlich Countertenöre heute klingen. Ausgesprochen raffiniert ist die Kombination dieser drei Stimmen mit dem technisch brillanten Sopranisten Samuel Mariño als Ratsherr Postumio. Das Tüpfelchen auf dem i gelingt dann noch dem Tenor Mert Süngü, der als Crisogono die Grenzen seines Stimmfaches deutlich und gekonnt über- und unterschreitet.

Bei so viel manpower bedarf es eines Gegengewichtes, den die beiden Soprane Eleonora Bellocci als Ottavia und Roberta Invernizzi als ihre Mutter Fulvia bravourös herstellen. Die insgesamt sieben Solisten verschmelzen zu einem exquisiten Ensemble schieren Wohlklangs und individueller Stimmfarben.

Mit großer Kompetenz leitet Alessandro De Marchi das Innsbrucker Festwochenorchester, der Coro Maghini fügt sich ebenfalls harmonisch in das homogene Klangbild ein. Einmal mehr muss man sich wundern, dass eine Oper dieser herausragenden Qualität über Generationen ignoriert wurde. Die einzige Entschuldigung dafür ist wohl, dass bis zum Ende des 20. Jahrhunderts Sängerstimmen, wie sie dafür erforderlich sind, nicht zur Verfügung standen. Nun gibt es sie wieder, und man freut sich auf weitere Kapitel der „Opernarchäologie“.

Carl Heinrich Graun
Silla

Innsbrucker Festwochenorchester
Alessandro De Marchi

cpo 555 586-2

zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de

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