Wenn man von einer so häufig gespielten Oper wie Rossinis Dauerbrenner wirklich erneut begeistert werden soll, muss schon eine besondere Aufführung dahinterstecken. Der Wiener Staatsoper ist das mit der Inszenierung von Herbert Fritsch geglückt, die 2021 aufgezeichnet wurde.
Der Regisseur verzichtet auf Bühnenbild und Requisite, nur ein paar farbige, transparente Kunststoffbahnen definieren den Bühnenraum, ist von einem Briefchen die Rede, so wird dessen Existenz nur simuliert, spielt Figaro die Mandoline, so ist diese gar nicht real vorhanden. Zum Ausgleich dafür tragen alle Beteiligten aber prächtige, historisch und stilistisch passende Kostüme, die Victoria Behr entworfen hat.
Die Personenführung ist so originell und quirlig, dass die überschaubare Lustspielhandlung auch nach annähernd drei Stunden Spieldauer noch nicht ermüdet. So geht Oper, möchte man nicht wenigen notorischen Stückzertrümmerern ins Stammbuch schreiben.
Dieses Konzept braucht aber auch spielfreudige Sänger, und einen Dirigenten am Pult, der Rossinis federnder Musik den nötigen Pepp verpasst. Michele Mariotti ist dafür genau der richtige Mann, der bei allem Tempo Rossinis Musik erspart, zur ratternden Nähmaschine zu werden.
Die Sängerbesetzung dieser Aufführung ist in ihrer Gesamtheit ein Glücksfall. Als stumme Rolle ist eine Tänzerin eingeführt, die pantomimisch die Handlung kommentiert. Ruth Brauer-Kvam löst diese Aufgabe unaufdringlich, aber mit starker Präsenz.
Star der Aufführung ist Juan Diego Flórez, der nach Ausflügen ins Spinto-Fach wieder einmal in einer rein lyrischen Partie zu hören ist. Sein klarer, heller Tenor hat nichts von seiner Leuchtkraft verloren, bei Rossini ist er in seinem Element. Starke Konkurrenz erwächst ihm vom Figaro des Etienne Dupuis. Der verbreitet viel ansteckende Spielfreude, die offenbar ansteckend auf das gesamte Ensemble wirkt. Sein weicher, flexibler Bariton überzeugt bereits mit seiner virtuosen Auftrittsarie.
Ihm durchaus ebenbürtig der Bartolo von Paolo Bordogna, der stimmlich und als Darsteller überzeugt. Eine Luxusbesetzung ist Ildar Abdrazakov in der Rolle des Don Basilio. Neben seinem sonoren Bass bringt auch er unerwartetes komisches Talent ins Spiel. Rosina, um die sich das ganze Verwirrspiel dreht, wird von Vasilisa Berzhanskaya mit Liebreiz, vor allem aber mit einem schönen, samtigen Mezzosopran ausgestattet. Als plumpe Hausangestellte Berta kann Aurora Marthens mit Selbstironie überzeugen.
Diesem Ensemble gelingt es tatsächlich, diesem fast zu Tode gespielten Stück wieder Leben einzuhauchen. Authentizität macht sich am Ende doch immer besser, als verkrampfte Neudeutungsversuche, von denen das Publikum inzwischen die Nase voll hat!
Gioachino Rossini
Il Barbiere di Siviglia
Chor und Orchester der Wiener Staatsoper
Michele Mariotti Dirigent
Herbert Fritsch Regisseur
Unitel c-major 765404
zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de