Christian Gerhaher singt Schubert im Kammermusiksaal Berlin: Der Schwan ist grau geworden

Christian Gerhaher singt Schubert im Kammermusiksaal Berlin: Der Schwan ist grau geworden

Der Bariton Christian Gerhaher und sein kongenialer Klavierbegleiter Gerold Huber gelten schon seit längerer Zeit als derzeit beste Interpreten der klassischen Lied-Literatur. Bereits seit den 1990er Jahren treten sie öffentlich auf, und haben auch schon zahlreiche Tonträger eingespielt. Gerhaher hat den verwaisten Thron Dietrich Fischer-Dieskaus als Liedersänger eingenommen, war zeitweise auch dessen Schüler.

Inzwischen weisen die Karrieren der beiden Sänger einige Parallelen mehr auf. Ähnlich Dieskau hat Gerhaher nach einigem Zögern sich auch dem Operngesang zugewandt, wobei er sein Bühnenrepertoire bewusst klein hält. Als Wozzeck, als Simon Boccanegra und in einigen Mozart-Partien ist er aber regelmäßig an ersten Bühnen zu hören.

Die Vereinbarkeit von Opernpartien und Kunstlied ist nicht immer gegeben, die meisten Rollen erfordern einen großen Stimmumfang und Durchschlagskraft, schließlich muss die Stimme ein ganzes Orchester übertönen.

Im Lied sind es gerade die feinen Zwischentöne im Piano, die den Künstler ausmachen. Es ist nicht zu überhören, dass Gerhaher seinen Opernauftritten sein ursprünglich so geschmeidiges Piano geopfert hat. Er hat große Mühe, die Stimme zurückzunehmen und verfällt immer öfter in ein aggressives Forte, bei dem manche Töne die akustische Schmerzgrenze erreichen. Gerade die  Schubert’schen Lieder, diese vokalen Wunderwerke, verlangen Legato und eine ausgeglichene Gesangslinie. Gelingt es Gerhaher die Stimme zurückzunehmen, so klingt sie seltsam fahl und grau. Auch in diesem Punkt werden Erinnerungen an Dieskau wach. Das zu heftige Forte zeigt aber zumindest das Volumen der Stimme stabil und kräftig, auch ein Tremolo kann Gerhaher vermeiden. Die vierzehn Lieder des posthum zusammengestellten Zyklus „Schwanengesang“ gelingen unterschiedlich, am besten vielleicht „Am Meer“, in dem die Gesangslinie ausgewogen ist.

Gerold Huber, der heute zu den gesuchtesten Klavierbegleitern zählt, ist tatsächlich für Gerhaher beinahe ein Alter Ego, die beiden musizieren seit dem gemeinsamen Studium zusammen. Hubers pianistische Qualität ist in Verbindung mit der großen Vertrautheit der beiden Künstler ein absolutes Plus. Nach einer Zugabe erfolgt die angekündigte Verleihung des Deutschen Schallplattenpreises für die Gesamteinspielung der Lieder Robert Schumanns an die beiden Künstler. Eleonore Büning hält eine kurze, verhaspelte Laudatio, die erwartungsgemäß von Superlativen strotzt.

Danach hätte das Publikum die Möglichkeit, Fragen an Gerhaher zu stellen. Ich stelle mir nur selbst die Frage, ob es klug war, mir am Nachmittag vor dem Konzert die frühe Einspielung des Schwanengesanges durch Gerhaher aus dem Jahr 1999 anzuhören.

Foto: Christian Gerhaher © Thomas Egli

Franz Schubert
Ausgewählte Lieder
Schwanengesang

Christian Gerhaher  BaritonGerold Huber  Klavier

Kammermusiksaal der Philharmonie Berlin, 3. Dezember 2022

zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de

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