Anja Silja: „Zu Bayreuth sage ich gar nichts mehr“

Anja Silja: „Zu Bayreuth sage ich gar nichts mehr“

Die weltberühmte Sopranistin Anja Silja feierte dieser Tage ihren 80. Geburtstag. Kaum zu glauben, erinnert man sich doch noch gut an die Bayreuther Sensation einer 20-jährigen Senta, an ein großes Rollenspektrum im hochdramatischen Fach, und schließlich an die großartige Gestalterin von Charakterrollen in Janaceks Opern. Siljas spannende Lebensgeschichte wurde in unzähligen Artikeln und Interviews thematisiert.

Als ich die Sängerin im Januar in Berlin traf, wollte ich ihr daher nicht die üblichen Fragen stellen.

Mit nahezu 70 Jahren Dauer ist Ihre Karriere wahrscheinlich die längste Sängerkarriere aller Zeiten?

Ja, das glaube ich. Das hat wohl noch niemand fertiggebracht.

Hat Ihnen eigentlich ein Haus den Kammersängertitel verliehen?

Mit 29 wurde ich in Stuttgart Kammersängerin, wahrscheinlich auch die jüngste aller Zeiten.

Einen wesentlichen Anteil an Ihrer künstlerischen Entwicklung hatte Wieland Wagner , der am Ende eigentlich von der Oper zum Schauspiel wechseln wollte. Wären Sie da mitgegangen?

Nein, wahrscheinlich nicht. Wir haben ja lange alles zusammen gemacht, aber wer weiß, ob das ewig so weiter gegangen wäre, nicht so ausschließlich wir beide. Wir wollten ja sogar heiraten, das hat schließlich sogar Winifred zugegeben. Unter diesen Umständen wäre es dann vielleicht so geworden, wie  mit Christoph (von Dohnanyi) .

Es existiert ein einziges Video einer Wieland-Wagner-Inszenierung, und zwar der „Lulu“-Inszenierung in Stuttgart

Das ist erst nach seinem Tod bei einer Aufführung aufgezeichnet worden. Wieland war strikt gegen solche Aufzeichnungen, er hätte das zu Lebzeiten niemals  zugelassen.

Nach Wieland Wagner waren Sie mit dem Dirigenten Andre Cluytens bis zu dessen Tod zusammen. Später haben Sie sein Haus in Paris gekauft. Besitzen Sie es heute noch?

Nein, nach elf Jahren habe ich es verkauft. Ich habe immer gehofft, er erscheint mir einmal, ist er aber nicht, das fand ich nicht nett von ihm.

Als Ihr damaliger Ehemann Christoph von Dohnanyi Chef des Orchesters in Cleveland wurde, lebten Sie für längere Zeit in den USA. Ihre eigene Karriere stagnierte zu dieser Zeit

Christoph meinte, es wäre nicht gut, wenn ich als seine Frau dort auch singen würde. Glücklich war ich darüber nicht, ich dachte das könnte es ja wohl noch nicht gewesen sein, mit meiner Karriere.

Sie sind neben der New Yorker Met zeitweise auch in San Francisco aufgetreten

Ja, schon seit 1968. Ich sang dort Salome, Lulu, König Lear, Makropoulos,  Lady Macbeth of Minks, Frau ohne Schatten… Kurt Herbert Adler war ein sehr fortschrittlicher Intendant, die Met hingegen sehr traditionell, die Inszenierungen sehr rückwärtsgerichtet. Das war nie „mein Haus“

Ich erinnere mich gerne an die „Lady Macbeth von Minks“ 1981 in San Francisco. Das machte ein junger, sehr begabter Dirigent, Calvin Simmons, der leider  im nächsten Jahr ganz jung starb.

Sie haben in Wien bei „Katia Kabanova“ unter Petrenko gesungen

Er erinnert mich an Andre Cluytens,er hat die selbe Liebenswürdigkeit und Geduld und man bemüht sich ihn nicht zu enttäuschen , so war es auch bei André.

Wenn wir von Dirigenten sprechen….

Barenboim zum Beispiel ist ein großartiger Musiker. Wir haben zusammen Elektra und Erwartung gemacht, er konnte schon manchmal sehr verschiedene Tempi am Abend haben- er ist da aber wirklich nicht der Einzige, bei dem das so ist.

James Levine ist einer der besten, die ich kenne. Er hat ein unglaubliches musikalisches Gespür, es war sehr schön, mit ihm zu arbeiten.

Jetzt sind wir beim Thema „me too“ gelandet

Ich bin mit der ganzen Debatte nicht glücklich. Das Verhalten hat es doch immer gegeben. Alle die berühmten Dirigenten von früher müssten heute im Gefängnis sitzen. Ich finde es auch nicht richtig, wie die Met mit Domingo und Levine umgeht. Man hat das doch immer alles gewusst, speziell von Levine, und hätte das anders regeln müssen.

Wie stehen Sie zum heutigen, so genannten Regietheater?

Man muss ja mit jedem Regisseur so lange kämpfen, bis er etwas Vernünftiges sagt. In Berlin an der Komischen Oper hat der Regisseur Thilo Reinhardt „Pique Dame“ inszeniert. Er hatte die Idee, am Ende den Tenor die letzte Szene der Gräfin singen zu lassen. Dagegen habe ich mich erfolgreich gewehrt, konnte mich aber nur mit der Drohung abzureisen, durchsetzen. Ich sagte, das geschieht nur über meine mausetote Leiche.

Sie haben selbst einmal Regie geführt, bei einem Lohengrin in Brüssel

Dazu bin ich gekommen, wie die Jungfrau zum Kind. Gerard Mortier hat mir das eingeredet, und es ist bei diesem einen Mal geblieben.

Gibt es eine Rolle, die Sie gerne gesungen hätten, aber zu der es nicht kam?

Kundry ist mir durch Wielands Tod entgangen. Und den Komponisten in der „Ariadne“ hätte ich gerne gesungen, der war mir aber damals zu tief. In meiner Koloratur-Zeit habe ich Zerbinetta gesungen, die Ariadne fand ich eigentlich langweilig.

Ihre Meinung zu heutigen Sängern?

Die meisten sind technisch schon recht gut, aber sie sind so austauschbar geworden. Anna Netrebko singt  schon sehr schön, aber für meinen Geschmack etwas langweilig. Bei den Tenören wird Jonas Kaufmann so stark gehypt, dabei halte ich Piotr Beczala für viel besser. Der macht aber nicht so viel Aufhebens um sich. Kaufmann singt doch immer sehr angestrengt, und presst. Bei Beczala fließt die Stimme ganz anders, er hat auch das schönere Timbre.

Der neue Stern am Opernhimmel ist Lise Davidsen, die letztes Jahr in Bayreuth die Elisabeth sang

Die Stimme ist sehr gut, aber für die Elisabeth eigentlich zu schwer. Dieses Jahr soll sie Sieglinde singen, das passt bestimmt besser für sie.

Wie beurteilen Sie den aktuellen Tannhäuser in Bayreuth?

In dieser Inszenierung würde ich keine fünf Takte singen. Die ganze Ouvertüre guckt man nur auf den Bus, ich dachte zuerst, das ist eine Reklame für VW. Und die Elisabeth, die so tief religiös ist, die lässt sich doch nicht einfach vom Wolfram so umlegen….

Aber ich sage gar nichts mehr, zu Bayreuth sage ich gar nichts mehr!

Sie sind dreifache Mutter, und siebenfache Großmutter. Ist darunter jemand, der im Bereich klassische Musik tätig ist?

Nicht wirklich. Vielleicht ist es eher abschreckend, zwei Berufsmusiker als Eltern zu haben. Eine elfjährige Enkelin, Käthe, zeigt aber Interesse an klassischer Musik, mal sehen.

Gehen Sie noch manchmal in die Oper?

Eigentlich nicht. Zu Proben gehe ich manchmal, wenn ich dort Leute kenne. Wenn ich in Berlin wohnen würde, ginge ich wahrscheinlich in Konzerte, zum Beispiel solche von Petrenko.

Können Fans von Anja Silja noch auf weitere Auftritte hoffen?

Singen werde ich nicht mehr, schon aus gesundheitlichen Gründen nicht, ich kenne auch niemand der mit 80 noch singt, es sei denn solche Rollen, wo es auf die Tonhöhe nicht ankommt!

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