Man hätte es nicht für möglich gehalten, aber tatsächlich ist der Tenor Jonas Kaufmann im Begriff, eine neue Weihnachtstradition zu begründen. Als ich in meinem Beitrag vor über einem Jahr dies scherzhaft schrieb, konnte ich noch nicht ahnen, dass Kaufmanns Weihnachtslieder-Orgie „it’s Christmas!“ in diesem Jahr tatsächlich in einer dritten Neuausgabe erscheinen würde. Zur besseren Unterscheidung erhält das Album jedes Jahr eine andere Farbe, diesmal ist es goldgelb. Silber hat man wohl übersprungen, das hat, wie bei Medaillen, immer etwas von zweitem Platz. Aber was nicht ist, kann ja in einem der folgenden Jahre noch werden, Weihnachten findet ja erstaunlicherweise jedes Jahr statt.
Eigentlich hätte sich in diesem Jahr eine Erweiterung der Edition mit Weihnachtsliedern aus der Ukraine angeboten, aber die Latte für die Unterstützung des überfallenen Landes liegt inzwischen doch ziemlich hoch. Also griff man zu einer ungewöhnlichen Lösung: Jonas Kaufmann darf auf der dritten CD der Gold-Edition nicht nur deutsche Dichter zu Wort kommen lassen, ausnahmsweise ohne Gesang. Jonas als Rezitator, eine neue Rolle.
Ähnlich wie bei der Musikauswahl der ersten zwei CDs verfällt er in einen wahren Overkill, nicht weniger als 29 gesprochene Beiträge von so unterschiedlichen Literaten wie Selma Lagerlöf, Ludwig Thoma, Erich Kästner, Hermann Hesse, nicht zu vergessen den Dichterfürsten Goethe finden sich auf der dritten CD. Niemand soll sagen können, Kaufmann wäre nicht vielseitig, immerhin platziert er auch noch einen heiteren Beitrag des Komiker-Urgesteins Heinz Erhardt. Er bleibt also der Linie treu, wie bei den auf erdrückende 49 Titel angewachsenen Musik-CDs, Quantität über Qualität zu stellen, getreu dem Goethe-Wort „Wer Vieles bringt, wird Manchem etwas bringen“. Ein deutsches Sprichwort trifft es noch besser: Aus jedem Dorf ein Hund.
Es steht jedem Künstler frei, sich zu vermarkten. Sängerkarrieren dauern nicht ewig, den erreichten Lebensstandard will man natürlich auch in späteren Jahren halten. Wie und womit man dafür sorgt, ist natürlich Geschmackssache, Kaufmann erweist sich hier nicht als stilsicher. Mit Sicherheit macht auch das Plattenlabel Druck, aber als Zugpferd sollte man sein Mitspracherecht vielleicht nutzen.
Auf eine erneute Werbesendung in Judith Williams’ TV-Shopping-Kanal scheint Kaufmann diesmal verzichtet zu haben. Vielleicht hatte die charmante Judith aber auch kein Sendeplätzchen mehr frei.
zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de