“Walküre” in Berlin: Zoff in der Gepäckaufbewahrung

“Walküre” in Berlin: Zoff in der Gepäckaufbewahrung

Die Freude über die erste große Opernpremiere in Berlin nach Ausbruch der Pandemie, und die Vorfreude auf einen neuen „Ring des Nibelungen“ an der Bismarckstraße ist spätestens nach fünf Minuten zu Ende. Dann ist bereits die Richtung klar, in die Stefan Herheim das Stück lenkt. Die Wände von Hundings Hütte bestehen aus unzähligen Reisekoffern, die Mitte des Raums nimmt ein Konzertflügel ein, und außer Sieglinde ist in dem Raum noch ein gnomenhaftes Wesen präsent, das über den gesamten ersten Akt aggressiv agiert und dessen tieferer Sinn verborgen bleibt, wenn man davon absieht, dass es sinnvolle Interaktionen  der Protagonisten stört.

Siegmund im Holzfällerhemd geht sogleich zur Sache, Sieglinde wird bereits heftig geküsst, ehe eine Konversation zustande kommt, auch Hunding bedroht den ungebetenen Gast sofort mit seinem Jagdgewehr, ehe überhaupt seine Identität geklärt ist. Herheim verschenkt jede szenische Pointe, übertreibt und lässt die Geschichte sich nicht entwickeln. Übermannt von inzestiöser Leidenschaft zieht Siegmund  das Schwert Nothung aus dem Flügel,  das Zwillingspaar entledigt sich schließlich seiner Oberbekleidung und stürzt sich in Feinripp-Wäsche auf den Flügel.

Dort blüht das Wälsungenblut noch immer, als sich der Vorhang zum zweiten Akt hebt. Aus dem Souffleurkasten klettert Wotan, ebenfalls in Feinripp-Unterwäsche, über die er allerdings schnell legere Freizeitkleidung zieht, die er auch für den Rest des Abends tragen wird. Der Deckel des Flügels öffnet sich, und Brünnhilde erscheint in voller Kampfmontur. Als später Fricka während der ehelichen Auseinandersetzung mit Wotan ebenfalls beginnt, ihre Oberbekleidung abzulegen, ist man geneigt, dahinter den Sponsor der Produktion, einen bekannten Wäschefabrikanten vom Bodensee, zu vermuten. Schon während der Fricka-Szene spielt Wotan auf dem Flügel, seine betrogene Ehefrau tut dies später auch, das Instrument will schließlich genutzt sein. Ab und an liest man auch in einer herumliegenden Partitur, was man am ehesten dem Regisseur empfohlen hätte. Als Siegmund schließlich von Hunding gefällt wird, geschieht es in einer auch akustisch intensiven Weise im Stil von „Stirb langsam“.

Das Füllhorn von Herheims Einfällen ist aber noch für weitere Überraschungen gut. Der Walkürenritt ist im Stil eines geselligen Girlsabends inszeniert, alsbald geht es aber härter zur Sache, die Zombies von gefallenen Helden beginnen höchst munter mit den acht Walküren zu kopulieren, wobei natürlich wieder reichlich Feinripp zum Einsatz kommt, diesmal aber auch solcher der eher ungepflegten Art. Die finale Auseinandersetzung zwischen Wotan und Brünnhilde findet vor dem Hintergrund einer ängstlich und mit Koffern ausgestatteten Schar von herumirrenden Flüchtlingen statt, in einer von unzähligen Koffern dominierten Landschaft, deren Sinngehalt das Geheimnis des Regisseurs bleibt. Das sich durch das ganze Stück ziehende Symbol der Koffer scheint doch ein wenig an den Haaren herbei gezogen, wirkt gewollt und aufgepfropft. Brünnhilde wird von Wotan im Flügel verstaut, zu den letzten Takten öffnet sich der Deckel aber wieder und gibt den Blick auf die gebärende Sieglinde frei. Die ihr beistehende Hebamme entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Richard Wagner, der Sieglinde das Kind Siegfried entreißt.

Ach ja, gesungen wurde auch, und das über weite Strecken sogar gut bis sehr gut. Brandon Jovanovich ist vielleicht nicht der strahlendste aller Siegmunde, aber sein baritonal gefärbter Tenor verfügt über die notwendige Durchschlagskraft und es gelingt ihm, ein glaubwürdiges Rollenprofil zu entwickeln. Andrew Harris verfügt über einen schönen, geschmeidigen Bass, sein Hunding kommt markant und durchaus furchteinflößend daher.

Gespannt war man auf die Debütantin Lise Davidsen als Sieglinde, die den hohen Erwartungen auf der ganzen Linie gerecht wurde. Ihr großer Sopran ist in allen Lagen bombensicher, sie verfügt über ein schönes Timbre und singt auch sehr textverständlich. Man muss kein Prophet sein, um dieser Sängerin aus Norwegen eine außergewöhnliche Karriere vorauszusagen.

Lise Davidsen © Ray Burmiston | Decca Classics

Annika Schlicht als Fricka gelingt es, die eheliche Auseinandersetzung mit Wotan spannend zu gestalten. Endlich einmal kein Gekeife in dieser Rolle, sondern eine starke, selbstbewusste Frau.

John Lundgren ist ein Wotan der gebrochenen Zwischentöne, stellenweise ist seine Diktion etwas gewöhnungsbedürftig, aber die Stimme hat Strahlkraft und Autorität. Vielleicht geht er mit seinen Kräften im zweiten Akt etwas zu verschwenderisch um, im dritten stößt er nämlich deutlich an seine Grenzen.

Die Titelrolle ist bei Nina Stemme nach wie vor eine sichere Bank. Die Stimme wirkt erfreulich ausgeruht und frisch, noch kann sie unangefochten den Thron der ersten Hochdramatischen behaupten.

Das Orchester der Deutschen Oper schien nicht ganz auf dem gewohnten hohen Niveau zu sein, vielleicht ist das der langen, pandemiebedingten Zwangspause geschuldet. Auch von Donald Runnicles hätte man sich ein wenig mehr Feuer gewünscht, bereits die stürmische Einleitung zum ersten Akt fiel ein wenig zu zahm aus, die Akte zwei und drei dehnten sich bedenklich.

Fotos von Bernd Uhlig / Deutsche Oper Berlin (c)

Das Ärgernis solcher Regie-Arbeiten liegt darin, dass sie den ausführenden Künstlern viel Kraft abverlangen, die sie besser in eine Vertiefung ihrer Rollengestaltung einbringen sollten. Das Publikum wiederum wird in seiner Konzentration auf die Substanz des Werks ständig abgelenkt. Gleichzeitig tendiert der Erkenntnisgewinn angesichts einer Ansammlung plumper, und nicht einmal origineller Mätzchen gegen Null. Das Publikum reagiert gerecht: großer Jubel für die Sänger, deutliche Buh-Rufe für das Regie-Team. Der neue, gerade erst begonnene „Ring des Nibelungen“ sieht jetzt schon ziemlich alt aus. Shame on you, Stefan Herheim!

Richard Wagner, Die Walküre
Deutsche Oper Berlin, Premiere am 27. September 2020

Fotos von Bernd Uhlig / Deutsche Oper Berlin (c)

Siegmund  Brandon Jovanovich
Hunding  Andrew Harris
Wotan  John Lundgren
Sieglinde  Lise Davidsen
Fricka  Annika Schlicht
Brünnhilde  Nina Stemme
Dirigent  Donald Runnicles

zuerst erschienen bei http://www.jklassik-begeistert.de

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