Verdis „Vĕpres Siciliennes“ an der Deutschen Oper Berlin: Untote leben länger

Verdis „Vĕpres Siciliennes“ an der Deutschen Oper Berlin: Untote leben länger

Diese Oper Verdis, entstanden in seiner mittleren, besonders erfolgreichen Schaffensperiode war ein Auftragswerk der Pariser Oper für die Weltausstellung des Jahres 1855. Verdi vertonte ein Libretto Scribes, mit dem es während der Zusammenarbeit zu Spannungen kam. Der Komponist musste ein Libretto in einer für ihn fremden Sprache vertonen, was einer der Gründe für das Fehlen einer klaren musikalischen Dramaturgie sein könnte. In diesem Werk findet Verdi nur bedingt zu einer markanten musikalischen Identität.

Heute trifft man diese Oper fast nur noch auf italienischen Bühnen an, die letzte große Produktion an der Mailänder Scala in italienischer Sprache liegt auch bereits über dreißig Jahre zurück.

Man vermisst in dem Werk zündende Einfälle, die wenigen bekannten Arien des Stückes sind längst nicht so inspiriert, wie man es von Verdi gewohnt ist. Dadurch erscheint die Oper mit drei Stunden Spieldauer ungewöhnlich zäh und langatmig.

An der Deutschen Oper Berlin unternimmt man nun einen weiteren Versuch der Wiederbelebung, der zumindest musikalisch ambitioniert ausfällt. Der Dirigent Enrique Mazzola, am Haus bereits mit Meyerbeer-Opern erfolgreich, hat die richtige Hand für breit angelegte Werke, es gelingt ihm, die gefährlichen Längen der Oper gekonnt zu umschiffen.

Es wird erfreulich gut gesungen, an diesem Abend, wobei man teilweise sogar aus dem Ensemble besetzen konnte. Thomas Lehmann singt einen Montfort, dessen Timbre für den schurkischen Charakter fast zu edel ist. Man glaubt ihm eher den liebenden Vater, als den rabiaten Unterdrücker des Volkes. Sein Gegenspieler, der Revolutionär Procida wird von Roberto Tagliavini mit kräftiger Bass-Stimme rollendeckend interpretiert, im Verlauf des Abends meint man aber eine leichte beginnende Indisposition zu hören. Der unglückliche, zwischen die Fronten geratende Henri findet in Piero Pretti einen Sänger, dem neben einer schönen Mittellage auch durchaus die vorgesehenen Spitzentöne zur Verfügung stehen einen kompetenten Interpreten

Als Hélène kämpft Hulkar Sabirova tapfer mit dieser nur bedingt dankbaren Partie. Anfangs misslingt ihr der eine oder andere Ton. Es dauert bis zum vierten Akt, bis sie eine ausgeglichene Gesangslinie findet, den Bolero des letzten Aktes, das populärste Stück der Oper, singt sie aber schließlich souverän.

Der Regisseur Olivier Py ist an der Deutschen Oper schon verschiedentlich durch derb-geschmacklose Inszenierungen in Erinnerung. Auch ein schlechter Ruf verpflichtet, und so gibt es wieder einige unschöne Details der Inszenierung zu vermelden. Auch diesmal gibt es wieder so etwas wie ein „Vergewaltigungsballett“, speziell die Ballett-Einlagen nutzt Py bevorzugt für seine Entgleisungen, so wird im dritten Akt mit einem abgeschlagenen Kopf Fußball gespielt.

Reichlich unsinnig ist die Verlegung der Handlung in die französischen Algerienkriege der 1950er Jahre. Während die Sänger von Sizilien singen, sieht man Bilder aus Algier. Die zeitliche Verortung wird auch nicht konsequent durchgehalten, ab und an tauchen wieder Uniformen und Kostüme des 19. Jahrhunderts auf. Damit spielt der Regisseur wohl auf die Entstehungszeit der Oper an, die allerdings im 13. Jahrhundert spielt. Die Logik der Handlung bleibt bei diesen unmotivierten zeitlichen Sprüngen auf der Strecke.

Der Einfall, den getöteten Bruder Hélènes über fünf Akte als Untoten permanent auf der Bühne zu zeigen, findet seine Entsprechung in der Dauerpräsenz von Henris toter Mutter. Diese ist mit einem Kinderwagen unterwegs, was für unfreiwillige Komik sorgt. Ebenso untot sind die ach so originellen Einfälle, jeden Protagonisten mindestens einmal auf einem Tisch stehend singen zu lassen. Dass sich Montfort vor seiner großen Arie der Oberbekleidung entledigen muss, und diese in Socken und Boxershorts vorträgt, sorgt für den peinlichsten Moment des Abends. Die immer wieder auftauchende Putzfrau, die wenigstens im Takt der Musik bohnert, scheint noch aus Herheims desaströser „Götterdämmerung“ übrig geblieben zu sein.

Das Publikum hält sich an die guten Leistungen der Sänger und spendet am Ende sehr viel Beifall, der mit Ausnahme vereinzelter Buh-Rufe sogar den Regisseur einschließt.

Ein Repertoirestück wird die „Sizilianische Vesper“ wohl nie werden. Auch sie eine Untote, wie so vieles an diesem Abend.

Foto: (c) Marcus Lieberenz

Deutsche Oper Berlin, 20. März 2022 Premiere

Giuseppe Verdi
Les Vĕpres Sicilienne

Oper in fünf Akten
Libretto von Eugène Scribe und Charles Duveyrier

Hélène Hulkar Sabirova
Henri Piero Pretti

Guy de Montfort Thomas Lehman
Jean de Procida Roberto Tagliavini

Musikalische Leitung Enrique Mazzola
Inszenierung Olivier Py
Orchester, Chor und Opernballett der Deutschen Oper Berlin

zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de

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