Tcherniakovs Ring könnte neuen Kultstatus erlangen

Tcherniakovs Ring könnte neuen Kultstatus erlangen

Im Oktober 2022 hatte die mit Spannung erwartete Neuinszenierung von Wagners „Ring des Nibelungen“ in der Staatsoper Unter den Linden Premiere. Die Arbeit Dmitri Tcherniakovs wurde eher kontrovers aufgenommen, am Ende der Götterdämmerung spielte sich beinahe eine Schlacht zwischen Buh- und Bravorufern ab.

Eineinhalb Jahre später ergibt sich nun die Chance, das ursprüngliche Urteil zu hinterfragen. Es dauert eine Weile, ehe man die teilweise verrätselten Bilder entschlüsseln kann, die zahlreichen optischen Metaphern zu deuten vermag. Die Handlung ist in einem Forschungsinstitut angesiedelt, die Szenerie nüchtern, technisch. Im Konferenzraum des Instituts erkennt man ein optisches Zitat aus der Humboldt-Universität.

Tcherniakov verzichtet wohl bewusst auf die Sichtbarmachung der zauberischen Elemente, auch der Nibelungenhort ist physisch gar nicht vorhanden. Der Regisseur legt den Focus eindeutig auf das Verhalten der Protagonisten, in der Führung der handelnden Personen gelingen ihm eindrucksvolle Charakterstudien.

Statt Christian Thielemann, dem Vielbeschäftigten, steht diesmal Philippe Jordan am Pult, am Haus seit seiner Assistenz bei Daniel Barenboim kein Unbekannter. Es gelingt ihm, mit der durch Barenboim und zuletzt Thielemann zum Wagner-Orchester geformten Staatskapelle eine bis ins Detail ausgefeilte Orchesterleistung abzurufen. Die Sänger finden so ein sicheres Fundament vor, auf das sie bauen können.

Gegenüber der Premiere gibt es einige Veränderungen, so hat Tomasz Konieczny den Wotan übernommen. Seine Diktion ist streckenweise etwas spröde, aber es gelingt ihm, seinem voluminösen Bassbariton auch sehr differenzierte Töne zu entlocken. Gleich geblieben ist sein Gegenspieler Alberich, den Johannes Martin Kränzle weiter perfektioniert hat. Erneut begegnet man auch Rolando Villazón als Loge, der sich redlich bemüht, die Rolle seiner defekten Tenorstimme abzutrotzen. Unverändert sehr gut die Fricka von Claudia Mahnke, die Erda von Anna Kissjudit, zu denen sich Anett Fritsch als lyrische Freia gesellt. Leider immer noch ein wenig zu blass Siyabonga Maqungos Froh, dem die Kantilene des Brückenbaues nicht recht gelingen will. Rheintöchter, Riesen und die restlichen Götter auf sehr hohem Niveau.

Zu Beginn der Walküre enthüllt sich durch eine Drehung der Bühne auch optisch Tcherniakovs Konzept. Wotan, der sich durch Verträge selbst geknebelt hat, ist zum Kontrollfreak geworden. Aus seinem Büro überwacht er Hundings Hütte, in der sich das inszenierte Wiedererkennen der Wälsungen-Zwillinge abspielen wird. Die Wände der Hütte sind nur durch Stäbe angedeutet, die Szenerie erinnert stark an Lars van Triers Film „Dogville“.

In dem sehr bürgerlichen Ambiente wird dieses Kabinettstück einer Dreierbeziehung stringent erzählt, bis hin zu Hundings und Sieglindes Ehebett, das Letztere aber bald flieht. Robert Watson und Vida Miknevičiūté sind auch diesmal wieder das Zwillingspaar, beide haben vokal seit der Premiere deutlich an Format gewonnen. Als Hunding ist diesmal Rene Pape zu erleben, dessen schwarzer Bass die Gefährlichkeit seiner Figur wirksam unterstreicht.

Auf seiner Flucht irrt das Geschwisterpaar durch Keller und Gänge des Forschungsinstitutes, dem es nicht entrinnen kann. Die Käfige mit lebenden Versuchskaninchen, die nach der Premiere berechtigte Proteste von Tierschützern auslösten, bleiben diesmal leer, was für die Inszenierung keinen Schaden bedeutet.

Im dritten Akt schließlich greift endgültig Tcherniakovs Konzept der extremen Reduktion. Schon der Walkürenritt, der manche Regisseure zu peinlichen Geschmacksverirrungen verleitet, findet hier nur als Besprechung im Konferenzraum des Institutes statt. Der anschließende Dialog Wotans und Brünnhildes wird zum absoluten Höhepunkt der Aufführung, was durch die subtile Zurücknahme der beiden Künstler gelingt. Tomasz Konieczny wächst über sich selbst hinaus und bildet den tief verletzten Mann und Vater mit unzähligen feinen Nuancen überzeugend ab. Er findet in Anja Kampe eine kongeniale Partnerin, die als Brünnhilde warme, frauliche Töne findet.

Tcherniakov inszeniert ein subtiles Kammerspiel kleiner, aber wichtiger Gesten. Hier verhandeln zwei Menschen ihren unlösbaren Konflikt, tiefe Traurigkeit darüber prägt die gesamte Szene. Ungewöhnlich das Ende:

Wotan entschwindet mit dem Bühnenbild in den Bühnenhintergrund, Brünnhilde steht einsam auf der dunklen, leeren Bühne. Das ist ein Moment größter spiritueller Dichte, der beinahe durch eine voreilige Bravo-Ruferin zerstört wird.

Standing Ovations für ein Ensemble der Extraklasse – erst das endgültige Fallen des Vorhanges bringt den begeisterten Applaus zu einem Ende. Tcherniakovs Ring erfährt möglichweise das Schicksal der Bayreuther Inszenierung von Patrice Chereau, die nach anfänglicher Ablehnung später zum Kult wurde.

Das Rheingold, Archiv Premiere 2022 Foto: Monika Rittershaus

Ring-Zyklus 1 – 18., 19., 21., 24. März 2024

Der Ring des Nibelungen (1869) von Richard Wagner

Das Rheingold
Vorabend zum Bühnenfestspiel
Text und Musik von Richard Wagner

Die Walküre
Erster Tag des Bühnenfestspiels
Text und Musik von Richard Wagner

Inszenierung und Bühnenbild  Dmitri Tcherniakov
Kostüme Elena Zaytseva 
Licht Gleb Filshtinsky
Video Alexey Poluboyarinov

Dirigent  Philippe Jordan
Staatskapelle Berlin

Staatsoper Unter den Linden, 18. und 19. März 2024

zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de

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