Vor exakt einem Jahr hätte diese Premiere an der Bismarckstraße stattfinden sollen, aber dann kam die Pandemie. Im September öffnete sich ein Zeitfenster, in dem die Produktion der „Walküre“ gezeigt werden konnte. So ist die Chronologie des neuen „Ring des Nibelungen“ etwas durcheinander geraten. Durcheinander ist auch das passende Wort für die Inszenierung Stefan Herheims. Aber davon später, es ist höchste Zeit, der Musik und dem Gesang in der Oper die gebührende erste Position auch in der Kritik wieder einzuräumen.
Und die musikalische Bilanz fällt höchst positiv aus. Die Deutsche Oper konnte das an Personal reiche „Rheingold“ weitgehend aus dem Ensemble besetzen, was einmal mehr die Wichtigkeit eines solchen unterstreicht. Das Verschwinden des Ensembles an vielen Häusern ist einer der Gründe für die Krise der Gesangskunst.
Mit Derek Welton kann das Haus einen jugendlichen Wotan aufbieten, der über die nötige Flexibilität in dieser Rolle verfügt. Sein geschmeidiger Bassbariton hat einen kräftigen Kern, das Timbre ist ansprechend, auch die hoch gelegenen Passagen der Partie gelingen ihm gut. Mit dem Wotan in der „Walküre“ und dem Wanderer in „Siegfried“ sollte Welton aber besser noch warten.
Wotans Gegenspieler Alberich ist mit Markus Brück optimal besetzt. Sein kräftiger Bass bildet ein perfektes Gegenstück zum weicheren Wotan, auch der Dämonie der Rolle bleibt er nichts schuldig, beweist aber gleichzeitig, dass auch Bösewichte schön singen können.
Dem irrlichternden Loge verleiht Thomas Blondelle genau die markanten Züge, die diese Partie verlangt. Sein Tenor ist kräftig, die Diktion sauber und textverständlich. Diese drei Sänger sind die Garanten für das Gelingen der Aufführung, aber auch die weiblichen Rollen sind adäquat gut besetzt.
Annika Schlicht als Fricka ist endlich einmal eine nicht keifende Frau und kann ihr schönes Timbre gut einsetzen. Jacquelin Stucker ist eine lyrisch-zarte Freia, Judit Kutasi hat einen gut geerdeten Alt, der für die Partie der Erda bestens geeignet ist. Auch die Rheintöchter Valeriia Savinskaia, Irene Roberts und Karis Tucker überzeugen, auffallend gut gelungen ist der harmonische Zusammenklang der Stimmen.
Die Riesen Fafner und Fasolt finden in Andrew Harris und Tobias Kehrer sonore, schwarze Bässe, die sich von den helleren Stimmen Wotans und Alberichs deutlich abheben. Auch Thomas Lehman als Donner kann überzeugen, dem Froh von Matthew Newlin gelingt die wunderbare Kantilene „Zur Burg führt die Brücke“ leider nur ein wenig angestrengt.
Donald Runnicles und sein Orchester sind eine sichere Bank, nur im Blech sind vereinzelte Kickser zu hören, die lange musikalische Abstinenz des Orchesters fordert wohl ihren Preis. Ein wenig flach und nicht wirklich transparent fallen die einleitenden Passagen der Szene im Rhein aus, triumphal dagegen der Einzug der Götter in Walhall.
Szenisch kann die Aufführung weit weniger überzeugen. Stefan Herheims Konzept für den Ring, so er denn eines hat, ist höchst widersprüchlich. Der Regisseur scheint sich nicht entscheiden zu können, ob er er die Tetralogie ernst nehmen soll oder doch den parodistischen Elementen den Vorzug gibt. Auf der Suche nach einer die Stücke verbindenden optischen Metapher verfiel er auf die Idee, eine große Zahl von Statisten mit Koffern auftreten zu lassen. Das soll wohl als Symbol für Flucht, Reise, Migration stehen. Der Bezug zu Wagners opus magnum scheint dabei aber doch recht an den Haaren herbeigezogen zu sein.
War in der „Walküre“ das Ablegen der Oberbekleidung noch den Hauptpersonen vorbehalten, müssen im „Rheingold“ nun auch die stummen Rollen sich ihrer entledigen. Dass auch partielle Nacktheit zur Kopulation animiert, ist da nur eine logische Folge. Selbst der Göttervater Wotan ist anfangs im Feinripp zu besichtigen und beginnt sich am Ende, zu Erda in die Tiefe hinabsteigend, erneut auszuziehen. Nun ja, im 21. Jahrhundert und nach Jahrzehnten inszenatorischen Wildwuchses kein Aufreger mehr. Weit bedenklicher ist das Erscheinen der geschundenen Nibelungen in Wehrmachtsuniformen mit Stahlhelm, die tatsächlich den rechten Arm in verdächtiger Weise anheben. Mit dem Hitler-Gruß überschreitet Herheim eine rote Linie, nicht nur die des guten Geschmacks.
Die Szene am Grunde des Rheins mit dem stummen Personal anzureichern, widerspricht doch sehr deutlich nicht nur Wagners Intentionen. Ab und an blitzen gute und originelle Ideen kurz auf, so gelingt der Einsatz kunstvoll drapierter Stoffbahnen ganz vorzüglich. Zur Halbzeit dieses neuen „Ringes“ ist noch nicht klar, ob es Herheim gelingen wird, zu einer überzeugenden Linie zu finden. Wieland Wagner nannte das „Rheingold“ einst den „Niedergang der Baufirma Fafner und Fasolt“. Herheim sollte es vermeiden, daraus den „Niedergang der Kofferfabrik Louis Vuitton“ zu machen. Verdienter Jubel für die Sänger, neben Applaus auch Buhrufe für das Leitungsteam.
Richard Wagner, „Das Rheingold“
Deutsche Oper Berlin, Premiere am 12. Juni 2021
zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de