Philharmonie Berlin: Begeisterter Applaus für ein Weltklasseorchester – aber viele Plätze bleiben leer

Philharmonie Berlin: Begeisterter Applaus für ein Weltklasseorchester – aber viele Plätze bleiben leer
© wikipedia.de Schirrmer

Der Kanon der von den großen europäischen Orchestern regelmäßig aufgeführten Komponisten und Werke ist bedauerlicherweise doch recht überschaubar. So war es erfreulich, dass das Concertgebouw-Orchester bei seinem Gastspiel im ersten Teil bedeutende Stücke der so genannten zweiten Wiener Schule präsentierte, die vergleichsweise selten zu hören sind.

Als Dirigent für dieses Konzert war ursprünglich Daniele Gatti vorgesehen, bis vor wenigen Wochen Chefdirigent des Orchesters. Seine plötzliche Entlassung aus dieser Position steht im Zusammenhang mit der „Me too“ Debatte. Zweifel an der Verhältnismäßigkeit dieses Schrittes sind erlaubt, aber das letzte, zumindest juristische Wort scheint in dieser Sache noch nicht gesprochen zu sein.

Der österreichische Dirigent Manfred Honeck, gegenwärtig Music Director des Pittsburgh Symphony Orchestra, hat diesen Konzerttermin  übernommen und beweist von den ersten Minuten an, dass er nichts weniger als nur Ersatzmann ist. Anton Weberns frühes Opus 5, hier allerdings in der späteren Fassung für Streichorchester gegeben, ist ein anspruchsvolles, aber durchaus eingängiges Stück, trotz der atonalen Schärfen, die aber für den Hörer des 21. Jahrhunderts ihre Schrecken längst verloren haben. Die fünf einzelnen Sätze sind kurz, geben jeweils rasch wechselnde und intensive Empfindungen wieder, die Amsterdamer in mittlerer Besetzung präsentieren sie in höchst ansprechender Form, wie der nachhaltig Beifall beweist.

Der nächste Programmpunkt ist ein- ebenfalls frühes- Opus von Alban Berg. Seine fünf Lieder nach Ansichtskarten-Texten des Wiener Literaten Peter Altenberg haben eine ungewöhnliche Rezeptionsgeschichte. Ihre Uraufführung 1913 in Wien ging im Skandal um ein umstrittenes Konzert unter, die erste vollständige Aufführung fand erst viele Jahre nach Bergs Tod 1952 statt. Die kurzen Texte hat der Komponist in sehr pointierter Form in Musik gesetzt, er verlangt eine große Orchesterbesetzung und eine sehr bewegliche Gesangsstimme, die von Deklamation bis zu Koloraturen ein breites Spektrum abdecken muss. In der Sopranistin Anett Fritsch, bisher mehr als Opernsängerin bekannt, steht an diesem Abend eine ausgezeichnete Interpretin zur Verfügung. Sie verfügt über einen kräftigen, sicheren Sopran von schönem Timbre und leuchtender Höhe, der auch exponierte Stellen hervorragend gelingen.

Nach der Pause begibt sich das Orchester wieder auf vertrautes Terrain. Bruckners 3. Symphonie, in einer späten, deutlich gestrafften Fassung gibt dem Spitzenorchester ausgiebig Gelegenheit, seine solistischen Stärken und seinen gerühmten spezifischen Klang zu entwickeln und zu demonstrieren. Auffällig und wohltuend ist der samtweiche Klang der Holz-und Blechbläser, die bei Bruckner auch durchaus schroff und hart klingen können. Im Adagio gelingen Honeck einige wunderbare Passagen im Piano , die seiner Interpretation durchaus ihre eigene Handschrift verleihen.

Am Ende begeisterter, lange anhaltender Applaus. Schwer nachvollziehbar allerdings, warum in der Philharmonie an diesem Abend gefühlt jeder dritte Platz frei bleibt. Das Gastspiel eines der besten Orchester der Welt sollte doch in einer Musikstadt wie Berlin auf größeres Interesse stoßen.

Anton Webern:  Fünf Sätze für Streichquartett op.5 (Fassung für Streichorchester)
Alban Berg:  Fünf Orchesterlieder nach Texten von Peter Altenberg op.4
Anton Bruckner:  Symphonie Nr.3 d-moll (3.Fassung)

Zuerst erschienen bei www.klassik-begeistert.de

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