Nelsons Antrittskonzert in Leipzig

Nelsons Antrittskonzert in Leipzig
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Für sein Antrittskonzert als 21. Kapellmeister des ehrwürdigen Leipziger Gewandhausorchesters am 22. Februar 2018 wählte Andris Nelsons ein klug zusammengestelltes, äußerst kontrastreiches Programm.

Zum Auftakt erklingt „Relief“ für Orchester, die Uraufführung eines  Auftragswerkes des schon seit längerer Zeit in Leipzig wirkenden Komponisten Steffen Schleiermacher. Mit dem Orchester und seinen Solisten bestens vertraut, hat er dem Klangkörper sein neuestes Werk praktisch auf den Leib geschrieben. Im kurzweiligen Wechselspiel kommen in dem nur gut zehn Minuten langen Stück die verschiedensten Instrumentengruppen zum Einsatz. Das Werk ist durchaus ansprechend und wird vom Publikum auch sehr freundlich aufgenommen.

Was folgt, ist ein Schlüsselwerk der Moderne: Alban Bergs Violinkonzert „Dem Andenken eines Engels“, geschrieben unter dem Eindruck des Todes der erst 18-jährigen Manon Gropius, ist nicht nur deren Requiem, es wurde gleichzeitig auch zu dem des Komponisten, dessen letztes Werk es war.

Hier kommt die Solistin des Abends, die lettische Geigerin Baiba Skride zum Einsatz. Die bereits international sehr erfolgreiche junge Künstlerin spielt eine Stradivari-Geige mit großem technischen Können und einem auffallend warmen Ton. Hier liegt vielleicht schon das Problem dieser Interpretation. Bergs atonales Werk ist durch die Verwendung tonaler Zitate, z.B. eines Bach-Chorals und Österreichischer Ländlerweisen, zu einem der populärsten und meistgespielten Stücke der zweiten Wiener Schule geworden. Trotzdem verfügt es natürlich auch über schroffe, scharfkantige Passagen. In Skrides und Nelsons Interpretation vermisst man streckenweise die Sprödigkeit, die das Werk auch ausmacht. Die Wärme von Skrides Geigenton lässt manche Passagen glatter und weicher erscheinen, als sie vielleicht vom Komponisten gedacht waren. Im Adagio schließlich wird das Tempo so breit, dass der wehmütige Ländler am Ende kaum mehr als Melodie erkennbar ist. Aber das ist vielleicht nur eine subjektive Empfindung. Das voll besetzte Gewandhaus spendet jedenfalls reichlich Applaus und erklatscht sich eine Zugabe, Paul von Westhoffs kurze Imitatione delle campagne.

Zuletzt huldigt der neue Gewandhaus-Kapellmeister seinem prominentesten Vorgänger, Felix Mendelssohn. Es erklingt dessen dritte Symphonie, die „Schottische“ einst vom Leipziger Orchester uraufgeführt, und damit sozusagen in der DNA des Orchesters gespeichert.

Von den wehmütigen Takten des Beginns über die Gewitter-Coda, das Klarinetten-Scherzo, den verträumten dritten Satz mit Cello-Soli bis hin zum aus dem Piano entwickelten strahlenden Finale zeigen die Leipziger, dass sie eines der Europäischen Spitzenorchester sind, und mit Andris Nelsons einen würdigen neuen Kapellmeister gefunden haben. Am Ende strahlen Dirigent, Orchester und Publikum um die Wette. Ein historischer Abend, zweifellos.

Andris Nelsons, Baiba Skride, Gewandhausorchester Leipzig
Steffen Schleiermacher Relief
Alban Berg Violinkonzert
Felix Mendelssohn Symphonie Nr.3 “Schottische
Accentus Music ACC 10443 Blueray Disc

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