Koskys “Rosenkavalier” in München: Kann Spuren von Barock enthalten

Koskys “Rosenkavalier” in München: Kann Spuren von Barock enthalten

Die Münchner Rosenkavalier-Inszenierung von Otto Schenk in den wunderbaren Bühnenbildern von Jürgen Rose, die bereits 1972 ihre Premiere hatte, war eine Ikone des Repertoires. Aber nach nahezu 50 Jahren schien eine Neuinszenierung unvermeidlich. Angesichts einer inzwischen völlig veränderten Theaterästhetik befürchteten nicht Wenige, einen wenig ansprechenden Ersatz für die so geschätzte Produktion zu erhalten.

Nach dieser bemerkenswerten, im Livestream gezeigten Premiere kann man Entwarnung auf der ganzen Linie geben. Der Regisseur Barrie Kosky ist viel zu klug um zu meinen, man könne diese Oper ganz ohne Anklänge an die Barockzeit auf die Bühne bringen. Er stellt eine kluge Synthese aus optischen Zitaten des Barock und zeitlos moderner Bildersprache her. Im ersten Akt ist das Schlafzimmer der Marschallin nur angedeutet, wir erleben einen nicht wirklich definierten Raum, in dem immer wieder ein geflügelter Greis, Chronos, auftaucht, der als Symbol der Zeit in allen drei Akten auftaucht.

Der gesamte erste Akt schimmert silbern, nur beim Auftritt des Sängers mit seiner barocken Prunkarie wird für einen Augenblick strahlendes Gold des Hochbarock eingesetzt. Die Arie wird so geschickt als anachronistischer Einschub gekennzeichnet.

Besonders tapfer mussten die Münchner beim Bühnenbild des 2. Aktes sein. Jürgen Roses perfekter Nachbau der Amalienburg ist nun ein Raum mit unzähligen Gemälden in „Petersburger Hängung“. Das ist zwar ein wenig nüchtern, gibt aber der Personenregie mehr Raum. Hier wird das barocke Element durch die  Kutsche eingeführt, in der Octavian seinen Auftritt hat.

Das Extrazimmer des Wiener Beisels im dritten Akt ist betont nüchtern gehalten, der Zuschauer sieht zu Beginn, dass der scheinbar abgeschlossene Raum nur durch einen Vorhang von einem Zuschauerraum getrennt ist. Ohne es zu wissen, agiert Ochs auf einer Bühne, was erst gegen Ende offenbar wird.

Kosky versteht es, aus den handelnden Figuren komplexe, glaubwürdige Charaktere zu formen, die aus Fleisch und Blut sind. Allen voran die Marschallin Marlis Petersens, die bereits bei ihrem Rollendebüt eine souveräne reife Frau verkörpert, die nicht sentimental, sondern nur nachdenklich ist. Stimmlich bleibt bei ihr kein Wunsch offen. Ob im Parlando oder den großen Bögen ist die Stimme in allen Registern sicher und Petersen kann ihr schönes, lyrisches Timbre entfalten. Dazu kommt eine Textverständlichkeit, wie man sie selten erlebt.

Gespannt war man auf die Newcomerin Samantha Hankey, auch sie eine Rollendebütantin. Sie bringt genau jenes androgyne Flair für diese Rolle mit, außerdem einen warmen, leicht anspringenden Mezzosopran, der sauber intoniert und sich mit den Stimmen der Partnerinnen perfekt mischt. Auch Katharina Konradi, ein neuer Stern am Opernhimmel, überzeugt auf der ganzen Linie. Die extrem hohe Lage der Partie der Sophie bereitet ihr keinerlei Schwierigkeiten. Auch ihre Mittellage ist kräftig und sicher, ihr Timbre ansprechend und gut kompatibel mit dem des Octavian.

Christof Fischesser legt seinen Ochs erfreulicherweise nicht als Lustgreis oder Proleten an, sondern lässt immer noch Rudimente seiner adeligen Herkunft erkennen. Stimmlich wirkt er souverän, die endlich einmal nicht gestrichene Erzählung von seinen erotischen Eroberungen wird zu einem Höhepunkt des ersten Aktes. Seine große Szene im Finale des zweiten Aktes singt er mit weichem, sonoren Bass von großer Flexibilität.

Eine glänzende Charakterstudie stellt Johannes Martin Kränzle mit seinem Neureichen Faninal auf die Bühne. Der Sänger von Galeano Salas muss sich rollenbedingt auf reinen Gesang reduzieren, das allerdings mit ausgesprochen schönem, höhensicherem Tenor. Ursula Hesse von den Steinen und Wolfgang Ablinger Sperrhacke als Intrigantenpaar können sich in ihren Rollen durchaus profilieren.

Gespielt wurde die Oper in einer Fassung für kleineres Orchester von Eberhard Kloke. Erstaunlich, wie viele reizvolle Details der Partitur in dieser reduzierten Version auf einmal hörbar werden. Die vorbildliche Transparenz des Klanges war aber mit Sicherheit das Verdienst Vladimir Jurowskis, der sich mit dieser Premiere an seinem zukünftigen Haus als Strauss-Dirigent bestens empfahl.

Barrie Kosky ist mit diesem Rosenkavalier beinahe so etwas wie die Quadratur des Kreises gelungen: die barocke Verortung des Stücks wird nicht geleugnet, die Charaktere aber doch eher als Menschen des Hier und Heute gezeichnet. Otto Schenks Rosenkavalier hat einen würdigen Nachfolger gefunden!

Nationaltheater München, Bayerische Staatsoper, Livestream vom 21. März 2021
Richard Strauss, Der Rosenkavalier

Marlis Petersen (Feldmarschallin), Foto: W. Hösl (c)

Musikalische Leitung

Vladimir Jurowski

Inszenierung

Barrie Kosky

Bühne

Rufus Didwiszus

Kostüme

Victoria Behr

Die Feldmarschallin

Marlis Petersen

Der Baron Ochs auf Lerchenau

Christof Fischesser

Octavian

Samantha Hankey

Herr von Faninal

Johannes Martin Kränzle

Sophie

Katharina Konradi

Jungfer Marianne Leitmetzerin

Daniela Köhler

Valzacchi

Wolfgang Ablinger-Sperrhacke

Annina

Ursula Hesse von den Steinen

zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de

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