Jurowski überzeugt mit frühem Schubert und spätem Mahler in der Berliner Philharmonie

Jurowski überzeugt mit frühem Schubert und spätem Mahler in der Berliner Philharmonie
© Simon Pauly

Eines haben die beiden so unterschiedlichen Werke gemeinsam, die Vladimir Jurowski im letzten Abonnementkonzert in der Berliner Philharmonie mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin aufführte: die Komponisten Schubert und Gustav Mahler haben die Uraufführung ihrer Werke zu Lebzeiten nicht mehr erleben können.

Schuberts 4. Symphonie, die den von Schubert selbst notierten Beinamen „Tragische“ trägt, ist ein Werk noch ganz in der Nachfolge Beethovens konzipiert, Orchesterbesetzung und Aufbau sind noch kleiner, formal strenger als die späteren Orchesterwerke Schuberts. Vladimir Jurowski, der  optisch einen etwas eckigen, kantigen Dirigierstil zu bevorzugen scheint, führt sein Orchester straff durch das halbstündige Werk, wobei die Blechbläser zuweilen etwas zu scharf hervortreten – insgesamt aber ist es eine ausgewogene, schwungvolle Interpretation des nicht häufig aufgeführten Werkes.

Nach der Pause steht Gustav Mahlers „Lied von der Erde“ auf dem Programm. Dieses Werk, vielleicht Mahlers erfolgreichste und populärste Komposition, ist in der Form ein Mittelding zwischen Symphonie und Orchesterlieder-Zyklus. Das Gelingen einer Aufführung hängt immer stark von der Qualität der beiden Gesangsolisten ab. Für den erkrankten Tenor Torsten Kerl sprang kurzfristig Robert Dean Smith ein, ein vor allem mit seinen Wagner-Partien erfolgreicher Sänger, und in Berlin kein Unbekannter. Die drei Lieder, die dem Tenor vorbehalten sind, erfordern eine ausgesprochen heldische Stimme, über die Dean Smith grundsätzlich zwar verfügt, aber die Glanzzeit hat seine Stimme deutlich hörbar hinter sich. Er schlägt sich aber durchaus achtbar, singt textdeutlich und idiomatisch sauber.

Von anderem Kaliber ist sein Widerpart, die Mezzosopranistin Sarah Connolly. Bei ihr erfahren die dunkleren, schwermütigeren Teile des Zyklus eine  interpretatorische Tiefe, wie sie Mahler wohl vorschwebte, die aber nur selten erreicht wird. Connolly lotet den Text mit perfekter Diktion aus. Es gelingt ihr, den Zuhörer in die elegische Stimmung dieser Lieder zu versetzen, ihr warmer, höhensicherer Mezzosopran ist geschmeidig und farbenreich. Ihr Gewand hat die Künstlerin klug und beziehungsreich gewählt: Sie tritt in einem Mantelkleid aus chinesischer Seide mit stilisierten Stickereien auf, ganz im Stil der chinesischen Lyrik, die als Nachdichtungen den Text des Werkes bilden.

Jurowski entlockt dem Orchester wunderbare solistische Details, scheut sich nicht, einzelne Passasagen sehr breit zu nehmen, was der Entfaltung der schwermütig elegischen Stimmung aber durchaus zuträglich ist.

Als sich das letzte Lied „Der Abschied“ bereits dem Ende zuneigt, kommt es zu einem Zwischenfall. Ein Orchestermitglied der zweiten Geigen stürzt mit seinem Instrument bewusstlos vom Stuhl, wird von Kollegen aus dem Saal begleitet. Sehr professionell gehen Dirigent und Solistin mit der Situation um: wenige Takte vor der unfreiwilligen Unterbrechung wird schon nach zwei Minuten wieder eingesetzt, und Sarah Connolly kann ihren Part mit dem wunderbaren, siebenmaligen „ewig,ewig“ zu einem harmonischen Ende bringen.

Am Ende großer Jubel und Blumen für Jurowski und die beiden Solisten.

Franz Schubert Sinfonie Nr.4 c-moll
Gustav Mahler  Das Lied von der Erde

Zuerst erschienen bei www.klassik-begeistert.de

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