Die im Jahr 2021 bedingt durch die Pandemie nur im Livestream zu erlebende Jenůfa-Premiere an der Berliner Staatsoper ist nun auch als DVD/Blu-Ray erschienen. Ein willkommener Anlass den damaligen Eindruck zu vertiefen.
Offenbar hat sich der Regisseur Damiano Michieletto für das Thema Reduktion als Programm entschieden. Ein Bühnenbild im eigentlichen Sinn gibt es nicht, der Bühnenraum ist durch Milchglaswände begrenzt, auf Sitzbänken und Tischen sind Gegenstände zu sehen, die jeweils einer der handelnden Personen zuzuordnen sind. Bei der Küsterin sind es sakrale Gegenstände und Kerzen.
Dörfliches Ambiente wird ausgespart, insgesamt verträgt das anrührende Drama um das junge Mädchen Jenůfa diese radikal entkernte Lesart aber gut, das komplizierte Beziehungsgeflecht der handelnden Personen wird in der ausgefeilten Personenregie gut nachvollziehbar dargestellt. Die Kostüme Carla Tetis, zumeist schlichte Alltagskleidung, waren nicht alle stimmig, warum der fesche Števa einen hässlichen Tarnanzug tragen muss, obwohl er doch gerade dem Militär entronnen ist, bleibt offen.Ab dem zweiten Akt hängt ein Felsblock über der Szene, der sich später als tropfender Eisblock entpuppt, ein beklemmendes Symbol für Bedrohung und Erstarrung. Am ehesten vermisst man im zweiten Akt die Struktur eines definierten Raumes, die Handlung spielt sich in diesem Fall ja in einer Kammer ab. Michieletto hat wohl intensiv mit allen Darstellern gearbeitet, es gelingt ein vorzügliches Kammerspiel, das bis in die kleinsten Rollen überzeugt.
Ein wenig problematisch ist die Besetzung im Falle Camilla Nylunds. Die Sopranistin hat stimmlich mit der Rolle der Jenůfa kein Problem, aber ein junges Mädchen kauft man der Fünfzigerin + nicht mehr ab. Evelyn Herlitzius verkörpert die Küsterin mit der ihr eigenen brennenden Intensität, in Spiel und Gesang hoch konzentriert wird sie zum Zentrum des Abends. Ihr zur Seite die unverwüstliche Hanna Schwarz als alte Buryjovka mit Spielfreude und immer noch tragfähigem Mezzosopran. Die Stiefbrüder Števa und Laca sind stimmlich und typmäßig völlig konträr besetzt, was für die Glaubwürdigkeit der Handlung wichtig ist. Gibt Ladislav Elgr den feschen Draufgänger Števa, so ist Stuart Skelton der täppische, aber im Kern herzensgute Laca. Beide verfügen über kräftige Tenorstimmen, Elgr hat die schlankere, Skelton die größere. Die kleinen Nebenrollen sind aus dem Ensemble gut bis ausreichend besetzt.
Sir Simon Rattle waltet am Pult umsichtig und konzentriert. Janáček scheint ihm zu liegen, und so gelingt eine Aufführung von großer Geschlossenheit und Intensität.
Leoš Janáček
Jenůfa
Staatskapelle Berlin
Simon Rattle Dirigent
Unitel 760504
zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de