Herbert Blomstedts schwermütiger Brahms

Herbert Blomstedts schwermütiger Brahms

Herbert Blomstedt, inzwischen eindeutig der Doyen unter den aktiven Dirigenten bereichert nach wie vor mit seinen charismatischen und hoch kompetenten Dirigaten das Konzertleben Europas. Das Arbeitspensum des inzwischen 93-jährigen Amerikaners mit skandinavischen Wurzeln wäre selbst für einen jüngeren Menschen ambitioniert. Aber das Musizieren scheint Blomstedts Lebenselexier zu sein, seine die Musik wunderbar illustrierende Zeichengebung ohne Taktstock ist inzwischen legendär.

Es verwundert nicht, dass der Dirigent auch aktuell noch größere Pläne über einen längeren Zeitraum verfolgt. Hatte er erst kürzlich seinen zweiten Zyklus der Beethoven-Symphonien veröffentlicht, plant er neuerdings einen solchen der vier Brahms-Symphonien mit dem Leipziger Gewandhausorchester, dessen Chefdirigent er über längere Zeit war.

Soeben erschienen ist eine CD mit der ersten Symphonie und der Tragischen Ouvertüre. Brahms wagte es erst spät, sich an einer Symphonie zu versuchen. Der Titan Beethoven hatte diese musikalische Form zu einer Höhe geführt, die der folgenden Generation von Komponisten Angst vor dem Scheitern machte.

Brahms‘ erste Symphonie in c-Moll wird scherzhaft manchmal als „10. Beethoven“ bezeichnet, ganz von der Hand zu weisen ist diese Etikettierung aber nicht. Den ersten Satz legt Blomstedt etwas behäbig breit an, es dauert bis die Struktur dieses langen Kopfsatzes erkennbar wird.

Im Andante ist Schwermut das vorherrschende Element, das unruhige, nervöse Scherzo leitet über zum Finale, dem deutlich längsten Satz der Symphonie, den Blomstedt sehr breit ausmusiziert. Das getragen Feierliche ist hier das bestimmende Element, das sich bis zu einer gewissen Monumentalität steigert. Das eindringliche Hauptthema schält sich erst allmählich aus dem musikalischen Ablauf, wird vielfach variiert und gesteigert.

Die „Zugabe“ der Tragischen Ouvertüre folgt der Interpretation der Symphonie. In vergleichsweise schnellem Tempo entfaltet das Stück die angestrebte Wucht.

Interessant der Vergleich mit Otto Klemperers historischer Einspielung. Der nicht gerade für schnelle Tempi bekannte Altmeister dirigiert die Symphonie um ganze sechs Minuten schneller.

Die enge Vertrautheit Blomstedts einerseits mit der Partitur, andererseits mit dem ausführenden Orchester lässt eine Aufführung von großer Brillanz und Altersweisheit entstehen. Gespannt sieht man den Einspielungen der restlichen Symphonien entgegen. Auf ein Neues, Herbert Blomstedt!

CD-Rezension: Brahms Symphoy No.1 & Tragic Overture
Pentatone (PTC 5186 850)

Gewandhausorchester
Herbert Blomstedt

zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de

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