Der schmale Band mit so genannten Wiener Operng’schichten entpuppt sich bei näherer Beschäftigung als sehr viel mehr, als ein Kompendium launiger Anekdoten.
Insidern ist der Autor Irrgeher natürlich kein Unbekannter. Als Brotberuf Jurist und Bankkaufmann in gehobenen Positionen, war und ist er seit seiner Schulzeit glühender Opernliebhaber und hat in späteren Jahren auch als Präsident der exklusiven und einflussreichen „Freunde der Wiener Staatsoper“ fungiert, nach seiner Pensionierung sogar noch ein Studium der Musikwissenschaft erfolgreich abgeschlossen.
Gut siebzig Jahre Beschäftigung mit der Kunstform Oper hinterlassen ihre Spuren, da erwächst ganz von selbst ein nicht nur breites, sondern auch vertieftes Wissen. An dem lässt uns der Autor teilhaben, tut es aber in einer unaufdringlichen Form, die jede Besserwisserei vermeidet. Dadurch, dass Irrgeher rein Anekdotisches im Wechsel mit Analytischem einfließen lässt, sorgt er beim Leser für Abwechslung und macht das Buch zu einer sowohl unterhaltenden als auch bereichernden Lektüre.
An verschiedenen Stellen nutzt er die Gelegenheit, Fehlurteile zu hinterfragen und zu revidieren. Verdienstvoll und aufschlussreich z.B. sein Plädoyer für den Komponisten Albert Lortzing, den man bis heute zwar aufführt, aber stets mit dem Etikett „leicht und gefällig“ versieht, was definitiv zu kurz greift. Auch über den Philosophen Theodor W. Adorno weiß er Interessantes zu erzählen.
Interessant auch die „Ehrenrettung“ für verschiedene bekannte Opernfiguren, deren Einschätzung Irrgeher mit klugen Argumenten in Zweifel zieht. Dabei verrät er nicht zuletzt umfangreiches historisches Wissen. Gelacht darf auch ausgiebig werden, einige kuriose Bühnenunfälle und außergewöhnliche Vorkommnisse erzählt Irrgeher größtenteils aus eigenem Erleben und dementsprechend authentisch.
Interessant seine retrospektiven Beiträge über frühere Direktoren der Wiener Oper, die er, wie viele Sänger auch, wohl persönlich gekannt hat. Dabei bleibt er stets diskret und fair, gibt auch freimütig frühere Fehleinschätzungen zu. In mehreren Einschüben erzählt der Autor auch in leicht ironischer Form aus seiner Biographie, die zweierlei beweisen: zum Einen seine Kompetenz, zum Anderen seinen Humor.
Für Kenner und Liebhaber der Oper ist das Buch eine interessante Lektüre, vielleicht mit der kleinen Einschränkung, dass eine gute Kenntnis der Materie, und spezieller Eigenheiten des Wiener Opernbetriebes das Lesevergnügen noch erhöhen. Selbst der aktuelle Wiener Operndirektor bekommt einen kleinen Seitenhieb, allerdings ohne Nennung seines Namens.
Anlass für die Publikation dürfte wohl Irrgehers bevorstehender 80. Geburtstag sein, nach Resignation oder Abschied klingt allerdings keine Zeile dieses Buches.
Heinz Irrgeher
Wiener Operng’schichten
Leipziger Universitätsverlag
zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de