„Götterdämmerung“ Unter den Linden: Starke Bilder stehen am Ende dieses Ringes

„Götterdämmerung“ Unter den Linden: Starke Bilder stehen am Ende dieses Ringes

Aus dem Dunkel der völlig leeren Bühne schreitet Brünnhilde zur Rampe. Sie trifft auf ihre stark gealterte Mutter Erda, auf deren Hand der Waldvogel flattert. Am Bühnenhintergrund wird ein Text sichtbar, der vorsichtig optimistisch einen Neuanfang in Aussicht stellt. Es ist die von Wagner wieder verworfene erste Textfassung der Schluss-Szene.  Dieses letzte Bild prägt sich ein, steht es doch auch in völligem Gegensatz zu dem an dieser Stelle üblichen Weltenbrand. So destruktiv Dmitri Tcherniakovs Sicht auf Wagners Ring streckenweise wirkte, so versöhnlich ist dieser Ausklang.

In den sechs Stunden davor hatte die Regie erneut für ungewohnte Tableaus gesorgt. Hinreißend die drei Nornen, die allesamt mit Gehhilfen ausgestattete alte, gebrechliche Frauen sind. Siegfried und Brünnhilde bewohnen nun jene Kleinwohnung, die bereits als Hundings Hütte und Mimes Behausung diente. Wir erleben glückliches Alltagsleben, inklusive einer Dusche, bei der Siegfried in Gestalt von Andreas Schager viel Haut und seinen durchtrainierten Körper zeigt. Die transparente Wand aber, die bisher die Beobachtung der Wohnung ermöglichte, gibt es nicht mehr. Ein subtiler Hinweis darauf, dass sich Siegfried nicht mehr unter der Kontrolle des Forschungsinstitutes befindet.

Andreas Schager (Siegfried) (c) Monika Rittershaus

Als Halle der Gibichungen  dient wieder ein Konferenzraum des Instituts E.S.C.H.E., die Geschwister Gunther und Gutrune sind als leicht beschwipste oberflächliche Geschöpfe gezeichnet, ihr Halbbruder Hagen dagegen als gefährlich intrigantes Kraftpaket. Der selbstverliebte Siegfried geht ihm nur allzu leicht in die Falle und verspricht nach Einnahme eines Vergessens-Trunks bereitwillig, Brünnhilde für Gunther als Frau zu gewinnen. Das Schwert Nothung ist abermals nicht sichtbar und man beginnt zu realisieren, dass Siegfried es nie geschmiedet hat. Brünnhilde hat inzwischen Besuch von ihrer warnenden Schwester Waltraute bekommen, die sie vergeblich vor dem Fluch der auf dem Ring liegt, warnt. Dem nicht verkleideten Siegfried gelingt die Eroberung Brünnhildes mühelos und das Unheil nimmt seinen Lauf.

Der zweite Akt spielt in dem bereits bekannten Hörsaal des Institutes, hier gelingt Tcherniakov ein ungemein dichtes Kammerspiel, das die brisante Situation, kulminierend in der Schwurszene, plastisch beschreibt. Johannes Martin Kränzle, diesmal als fast nackter Greis tritt noch einmal als intensiver Alberich auf.

Johannes Martin Kränzle (Alberich), Mika Kares (Hagen) (c) Monika Rittershaus

Zu Beginn des dritten Aktes wird Siegfried im Stresslabor von den Rheintöchtern untersucht, deren Warnungen schlägt er in den Wind. Anschließend schließt er sich wieder der Jagdgesellschaft an, die in diesem Fall ein Baseballteam ist. Spielfläche ist in der Lobby des Institutes jene Stelle, an der an den Abenden davor die mächtige Weltesche ihren Platz hatte. Wie wir von den Nornen wissen, ließ diese aber Wotan fällen und die Scheite aufschichten. Hagen ersticht Siegfried schließlich mit einer Fahnenstange, sterbend schleppt sich dieser zurück ins Stresslabor, wo er stirbt. Zu den Klängen des Trauermarsches betreten nach und nach alle Mitarbeiter des Institutes erschüttert den Raum, unter ihnen auch der stumm bleibende Chef Wotan und Erda. Man bringt Siegfrieds Leichnam in die Lobby, wo Brünnhilde ihren bewegenden Abgesang anstimmt. Ein stummer, gebrochener Wotan hört ihr dabei zu, nachdem alle anderen den Raum verlassen haben. Es folgt noch das beschriebene Schlusstableau.

Anja Kampe (Brünnhilde), Andreas Schager (Siegfried), Komparserie (c) Monika Rittershaus

Musikalisch gerät dieser Abend zum Triumph für Christian Thielemann und die Berliner Staatskapelle, die eine schlanken, transparenten Wagner zwischen kammermusikalischen Details und wuchtigem Volleinsatz gleichsam zelebrieren. Auch das Ensemble der Sänger bewegt sich auf hohem bis höchstem Niveau.

Rheintöchter und Nornen bilden jeweils klangschöne Terzette. Ein wenig dünn Mandy Fredrichs Sopran für die undankbare Rolle der Gutrune, die ein wenig zu leichtgewichtig gerät. Violeta Urmana gibt der Waltraute nicht ganz das vokale Gewicht, dass diese Figur haben sollte. Ihr einst mächtiger Mezzosopran wirkt ein wenig verbraucht und dumpf.

Anja Kampe (Brünnhilde), Anna Samuil, Kristina Stanek, Noa Beinart, (Drei Nornen) (c) Monika Rittershaus

Lauri Vasar gibt dem Schwächling Gunther ein starkes, glaubwürdiges Profil. Der Hagen von Mika Kares setzt die geballte Kraft seiner schönen Bass-Stimme ein, diesen Hagen möchte man nicht zum Feind haben.

Andreas Schagers Siegfried, ausgestattet mit einem schier unerschöpflich kräftigen Tenor, gibt genau den unbelehrbaren törichten Kraftprotz, der an sich selbst scheitert. Die Brünnhilde Anja Kampes dominiert den Abend mit ihrer warmen, fraulichen Brünnhilde, die sämtliche Facetten dieser Rolle in feinster Nuancierung singt, eine tief berührende Leistung, die begeistert und gleichzeitig in ihrer Intensität betroffen macht.

Nun hat Dmitri Tcherniakov also seinen Ring zu Ende geschmiedet. Am Ende wird das gesamte Ensemble mit frenetischem Applaus gefeiert, ebenso wie Thielemann und das Orchester. Beim Erscheinen des Regieteams erhebt sich allerdings ein wahrer Buh-Orkan, der vom ebenfalls gespendeten Applaus nicht übertönt werden kann. Sicher, der Regisseur hat mit seiner intellektuell extrem anspruchsvollen Deutung dem Publikum einige Rätsel aufgegeben. Was aber besticht, ist die Konsequenz, mit der er seine eigenwillige Lesart des Stoffes auf die Bühne gestellt hat. Die Idee eines Forschungsinstitutes als Schauplatz ist gar nicht so abwegig, ist doch wissenschaftliche Forschung heute ein entscheidend wichtiges Thema.

Wotan sieht die Wälsungen als Versuchsobjekte für ein selbstbestimmtes Handeln, Siegfried soll sich dann endgültig vom Willen des Übervaters Wotan lösen. An diesem Punkt misslingt das Experiment. Siegfried beginnt aus freien Stücken anders zu handeln, als Wotan es sich gewünscht hätte. Das Schwert Nothung wird erst gar nicht geschmiedet, seine ersten Erfolge erringt Siegfried einfach durch rohe Kraft. Seine narzisstisch unbedachte Natur führt ihn nur allzu schnell zum Betrug an seiner Frau und seinem vorhersehbaren, selbst verschuldeten Ende. Ein müder, desillusionierter Wotan verzichtet am Ende sogar auf den finalen Weltenbrand. Tcherniakov gibt uns einiges Bedenkenswertes mit auf den Heimweg.

Die Berliner Staatsoper kann sich zu einem exemplarisch guten neuen Ring gratulieren, der nach zwei mäßigen Vorgänger-Inszenierungen wieder Stoff für Diskussionen gibt. Dass Daniel Barenboim gesundheitlich nicht in der Lage war, ihn selbst zu dirigieren, ist nicht ohne traurige Symbolik: der fast achtzigjährige Dirigent betrieb permanenten Raubbau an seiner Gesundheit und Leistungsfähigkeit, seit einigen Monaten versagt ihm nun sein überanstrengter Körper den Dienst. Parallelen zum resignierenden Wotan Tcherniakovs zu ziehen, bieten sich beinahe an.

Götterdämmerung
Dritter Tag des Bühnenfestspiels
DER RING DES NIBELUNGEN (1876)
Text und Musik von Richard Wagner

Staatsopernchor
Staatskapelle Berlin

Christian Thielemann, Dirigent
Dmitri Tcherniakov, Regie und Bühnenbild

Staatsoper Unter den Linden, 9. Oktober 2022 PREMIERE

Siegfried
Andreas Schager

Gunther
Lauri Vasar

Alberich
Johannes Martin Kränzle

Hagen
Mika Kares

Brünnhilde
Anja Kampe

Gutrune
Mandy Fredrich

Waltraute
Violeta Urmana

Drei Nornen
Noa Beinart ,
Kristina Stanek ,
Anna Samuil

Woglinde
Evelin Novak

Wellgund
Natalia Skrycka

Flosshilde
Anna Lapkovskaja

zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de

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