Auch große Pianisten haben in der Vergangenheit als Liedbegleiter für bedeutende Sänger gespielt, Voraussetzung dafür war aber stets ein deutlicher künstlerischer Gleichklang, eine Seelenverwandtschaft, in der sich zwei Interpreten fanden.
Als jüngstes Beispiel für eine solche Partnerschaft auf Augenhöhe stellt die soeben veröffentlichte, außergewöhnliche Lied-CD Matthias Goernes dar, der keinen Geringeren als den Star-Pianisten Daniil Trifonov als Begleiter gewinnen konnte.
Was aus dieser ungewöhnlichen Partnerschaft entsteht, ist ein Programm von außergewöhnlicher Dichte und Intensität des Ausdrucks. Die Auswahl der Lieder von fünf sehr unterschiedlichen Komponisten ist an sich schon ungewöhnlich, so hören wir von Alban Berg die Vier Gesänge op.2, ein früher, teilweise noch tonal komponierter kleiner Zyklus, der aber bereits die Hinwendung des Komponisten zur Atonalität ahnen lässt.
Kernstück und Höhepunkt des einen weiten musikhistorischen Bogen spannenden Programms ist Robert Schumanns „Dichterliebe“. Diese 16 Lieder sind in ihrer Komplexität so etwas wie eine Quintessenz romantischer Dichtkunst, Heines Verse erfahren durch Schumanns kongeniale Komposition eine fast schon schmerzhafte Tiefe. Den wechselnden Gefühlen der Gedichte folgend durchzieht auch die Musik eine rastlose Unruhe, die sich in höchst individueller Gestaltung des Sängers und des Pianisten manifestieren. Das ist Gestaltung auf höchstem Niveau, Goerne fächert die gesamte Palette seiner stimmlichen Ausdrucksmöglichkeiten auf, während Trifonov der Tiefe des Klavierparts nachspürt. Die beiden finden sich aber immer wieder in maximaler Harmonie.
Hugo Wolfs drei Michelangelo Lieder, die ursprünglich Teil eines größeren Zyklus werden sollten, den der Komponist nach dem Ausbruch des Wahnsinns nicht mehr vollenden konnte, spiegeln deutlich die Düsternis wieder, in der Wolf wohl zur Zeit der Komposition gefangen war. Sie sind letzte Zeugnisse eines zum Scheitern verurteilten Künstlers und Menschen.
Ein modernes Pendant dazu bilden die Vertonungen Dmitri Shostakovichs. Michelangelos Verse wurden von Avram Efros ins Russische übersetzt, das Goerne offenbar idiomatisch sauber wiedergibt. Auch diesen Vertonungen wohnt eine triste Grundstimmung inne, darin sind sie der Komposition Wolf nicht unähnlich.
Den Abschluss bilden Johannes Brahms’ „Vier ernste Gesänge“, die auf Bibeltexte komponiert sind. Hier finden Sänger und Pianist zu dem angemessenen feierlichen Ernst, der diese Gesänge prägt. Goerne kann erneut das Spektrum seiner Ausdrucksmöglichkeiten unter Beweis stellen.
Die Aufnahmen für diese sehr besondere CD fanden bereits 2018 in Berlin statt. Das Resultat bewegt sich auf einsam hohem künstlerischen Niveau und ist eine der wichtigsten Lieder-CDs der letzten Jahre.
Matthias Goerne – Daniil Trifonov
Lieder
Berg Schumann Wolf Shostakovich Brahms
DG 486 2452
zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de