Europakonzert der Berliner Philharmoniker „In tempore belli“ – Petrenko wählt ein hoch sensibles Programm

Europakonzert der Berliner Philharmoniker „In tempore belli“ – Petrenko wählt ein hoch sensibles Programm

Alles ist anders in diesem Jahr: die Berliner Philharmoniker mussten des Ukraine-Krieges wegen das traditionelle Europakonzert, mit dem es am 1. Mai seinen Gründungstag feiert, von Odessa nach Liepāja, an der lettischen Ostküste, verlegen. Und Kirill Petrenko trägt mit dem ausgewählten Programm nicht nur dem Gastland, sondern auch den „tempore belli“ Rechnung. Musik kann in diesen Zeiten nicht völlig unpolitisch sein, wie wir inzwischen wissen.

Die „Musica Dolorosa“ des lettischen Komponisten Pēteris Vasks ist eine Hommage an das Gastland, gleichzeitig ist dieses schwermütige Stück ein Symbol für Leiden und seine Überwindung. Es hinterläßt auf unspektakuläre Weise großen Eindruck.

Valentin Silvestrov ist ein ukrainischer Komponist, der erst im März dieses Jahres aus seiner Heimatstadt Kiew des Krieges wegen nach Berlin floh. Seine „Elegie für Streichorchester“ trägt ebenfalls zur Grundstimmung dieses Konzertabends bei, die vor allem eine Nachdenkliche, Betroffene ist.

Erheblich unbeschwerter war das nächste Stück, die so genannten „Folk Songs“ des italienischen Komponisten Luciano Berio. In dieser elf Titel umfassenden Volksliedbearbeitung, die Berio seiner zeitweiligen Ehefrau Cathy Berberian auf den Leib schrieb, greift der Komponist auf Lieder aus den USA, Armenien, Frankreich, Italien und Aserbeidschan zurück und variiert gekonnt die folkloristischen Melodien. Als Gesangs-Interpretin konnte man die lettische Mezzosopranistin Elīna Garanča erleben. Elegant gewandet genoss sie sichtlich die Sympathie des Publikums, ganz glücklich werden konnte man mit ihrem Gesang aber nicht. Es war nicht feststellbar, in welcher Sprache die Sängerin gerade sang, von den Texten war kein einziges Wort zu verstehen. Dazu kam, dass es dem Mezzosopran Garančas aktuell Schwierigkeiten bereitet, die tieferen Register abzudecken. Die klingen fahl, trocken, oder werden schlicht verschluckt.

Martialisch ging es mit Janáčeks „Taras Bulba“ weiter. Diese dreisätzige Tondichtung des mährischen Komponisten greift drei Episoden aus dem Leben des Kosakenhauptmannes auf, der allerdings eine von Gogol erfundene fiktive Figur ist. Es geht darin nicht zuletzt um die Befreiung der Ukraine aus der Fremdherrschaft, und den Widerspruch zwischen Treue zum eigenen Volk und der Liebe zu einem Menschen eines verfeindeten Volkes. Janáčeks ungewöhnliche Instrumentierung bietet Petrenko und seinen Philharmonikern reichlich Gelegenheit zu beweisen, dass praktisch jeder Musiker auf dem Podium das Zeug zu einem Solisten hat.

Den wahrhaft krönenden Abschluss des Konzertes bildet Jean Sibelius’ Tondichtung „Finlandia“, die so etwas wie die inoffizielle Nationalhymne Finnlands darstellt. Das kurze, aber sehr effektvolle Werk steht für die Unabhängigkeit der finnischen Nation von russischen Besatzern. Was könnte derzeit aktueller sein? Die Philharmoniker und Petrenko steigern das Werk bis zu seiner triumphalen Schlussapotheose und entlassen damit das Publikum in einen lauen Frühlingsabend, über dem aber, wie gegenwärtig überall, der Schatten des Krieges in der Ukraine liegt.

Foto: Kirill Petrenko © Monika Rittershaus

Philharmonie Berlin, 29. April 2022

Pēteris Vasks
Musica Dolorosa

Valentin Silvestrov
Elegie für Streichorchester

Luciano Berio
Folk Songs

Leoš Janáček
Taras Bulba

Jean Sibelius
Finlandia

Berliner Philharmoniker
Kirill Petrenko Dirigent

Elīna Garanča  Mezzosopran

zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de

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