Dieser „Tristan“ kommt dem unerreichbaren Ideal sehr nahe

Dieser „Tristan“ kommt dem unerreichbaren Ideal sehr nahe

Wagner selbst hat einmal vor perfekten Tristan-Aufführungen gewarnt, die Menschen würden sie wohl nicht ertragen und wahnsinnig werden. Eine Ahnung dessen, was Wagner damit gemeint haben könnte, bot die Aufführung in der Staatsoper Unter den Linden 2018, deren Aufzeichnung nun endlich auf DVD und Blu-ray erschienen ist.

Jeder Opernliebhaber, der schon etliche Aufführungen dieses Mammutwerkes erlebt hat, weiß um die Unvollkommenheit der meisten dieser Interpretationen. Oft genug fehlen den Sängern der Titelrollen die stimmlichen Mittel, um sie befriedigend ausführen zu können, manche retten sich in Schreien, oder auch dem Unterschlagen einzelner Töne oder gar Phrasen.

Nichts davon in dieser denkwürdigen Aufführung an der Berliner Staatsoper. Die Besetzung mit Andreas Schager und Anja Kampe versöhnt sogar teilweise mit der grotesk banalisierenden Inszenierung Dmitri Tcherniakovs. Die Kraft von Schagers sehr hell timbriertem Tenor scheint schier unerschöpflich zu sein, man hat das Gefühl, der Sänger könnte mühelos am Ende noch einmal von vorne beginnen, obwohl ihm die völlig überdrehte Personenregie auch noch gymnastische Höchstleistungen abverlangt. Einziger, kleiner Kritikpunkt: Schager wirkt streckenweise einfach zu gesund, zu eindimensional für diesen introvertierten Helden, er scheint permanent gut gelaunt.

Anja Kampes Isolde ergänzt, bzw. konterkariert Schagers Tristan in idealer Weise. Sie ist keine Hochdramatische im eigentlichen Sinn,  ihre große, warm timbrierte Stimme verfügt aber über alle Qualitäten, die für diese wohl anspruchsvollste Sopranpartie benötigt werden, wie Schönheit des Timbres, Durchschlagskraft und Geschmeidigkeit der Höhe, zusätzlich noch gut gebildete tiefere Register. Mit diesen Dingen reich gesegnet, kann sich Kampe voll auf den gestaltenden Teil ihrer Rolle konzentrieren. Da ihre Stimme auch noch optimal mit jener Schagers harmoniert, erlebt man speziell im Liebesduett Augenblicke, die das unerreichbar scheinende Ideal einer perfekten Aufführung tatsächlich erreichen.

Ekaterina Gubanova kann mit ihrem dunkel leuchtenden, facettenreichen Mezzosopran die Brangäne, wie von Wagner gedacht, als ebenbürtiges alter ego Isoldes gestalten. Boaz Daniel singt einen überzeugenden Kurwenal, der zeitweise in einen Lautstärke-Wettbewerb mit seinem Herrn Tristan tritt. Weniger wäre manchmal mehr. Der souveräne Stephen Milling überzeugt in der eher undankbaren Rolle König Markes. Mit schneidendem Charaktertenor trifft Stephan Rügamer genau den richtigen Ton für den Verräter Melot. Als junger Seemann und Hirt lässt das Mitglied des Opernstudios Linard Vrielink ausgesprochen schöne Töne hören.

Daniel Barenboim leitet diese Aufführung mit jener Souveränität, die ihm leider nicht immer zur Verfügung steht, aber bei dieser Aufführung ist man geneigt, ihm so manches von seinem Allmachtsanspruch zu verzeihen.

Ärgernis und Schwachpunkt ist die Inszenierung Dmitri Tcherniakovs, einem Liebling des Feuilletons, wenn es um Opernregie geht. Hier stimmt eigentlich gar nichts, es dominiert der Hang zu Banalisierung und Denunzierung des Stoffes. Fällt der musikalische Teil des Abends aber so hinreissend gut aus, kann man das Bühnengeschehen getrost ignorieren. Trotzdem steht die Frage drängend im Raum, warum aktuelle Inszenierungen grundsätzlich frei erfundene Handlungen über die tatsächlichen Libretti stülpen müssen. Sollen sich doch Tcherniakov und Seinesgleichen doch ihre eigenen Werke schreiben!

Richard Wagner
Tristan und Isolde

Staatsopernchor/Staatskapelle Berlin
Daniel Barenboim  Dirigent

Dmitri Tcherniakov,  Regie

BAC 465

zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de

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