Dieser „Traviata“ fehlen echte Emotionen

Dieser „Traviata“ fehlen echte Emotionen

Ganze fünf Minuten reichen dem Regisseur Davide Livermore, um seine Traviata-Inszenierung in eine mäßig geschmackvolle Beliebigkeit abgleiten zu lassen. Was wir zu sehen bekommen, ist plumpes Rampentheater, basierend auf dem schier unausrottbaren Missverständnis, das diesen Stoff von je begleitet.

Keinesfalls spielt dieses Drama in einer libertinären, blasierten Gesellschaftsschicht, die sich auf Sexparties langweilt, jene von Dumas beschriebene Welt der Lebedamen des 19. Jahrhunderts in Paris war eine ungleich Elegantere. Violetta in dieser Inszenierung als eher unbedarftes IT-Girl zu zeichnen, nimmt der Figur vom Beginn an die Zerbrechlichkeit, die Teil dieses Charakters sein sollte. Hier nimmt sich eine junge, selbstbewusste Frau was sie will, der aufbrechende Konflikt mit dem Vater ihres Liebhabers entbehrt jeder Glaubwürdigkeit, wie auch die Figur des Germont père völlig aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Das mag auch an dem elegant agierenden Altstar Leo Nucci liegen, der mit 80 Jahren einen stimmlich robusten Charakter auf die Bühne stellt, mitsamt seinem Zweireiher-Anzug aber doch sehr das 20. Jahrhundert abbildet.

Ein wenig gegen den Strich gebürstet wirkt auch der Alfredo dieser Aufführung. Wir erleben keinen romantischen Schwärmer, eher einen gelangweilten, wenig temperamentvollen jungen Mann. Bei so viel Understatement darf nicht verwundern, dass das ohnehin wenig zeitgemäße Drama reichlich kalt lässt.

Musikalisch liegt die Aufführung in den höchst seriösen Händen des Altmeisters Zubin Mehta. Der kennt seinen Verdi und musiziert die meisterhafte Partitur sehr differenziert und transparent.

Das wenig ansprechende Ambiente lässt allerdings viel vom Reiz von Verdis Meisterwerk einfach verpuffen.

Stimmlich bringt Nadine Sierra für die Hauptrolle der Violetta alles Wünschenswerte mit. Ihr Sopran ist geschmeidig und wohlklingend, technisch hat sie mit der anspruchsvollen Rolle keine Probleme. Was aber über weite Strecken fehlt, ist eine Gestaltung der Rolle. Da wird sehr glatt und schlackenlos agiert, die Gebrochenheit des Charakters wird, wenn überhaupt, erst in der Sterbeszene spürbar. Gleiches gilt für den Alfredo Francesco Melis, der brav und emotional weitgehend unbeteiligt von großen Gefühlen singt, sie aber nicht über die Rampe zu bringen vermag. Der bereits erwähnte Leo Nucci bewährt sich als väterliches Urgestein mit erstaunlich frischer Diktion, wenn er darstellerisch auch bestenfalls eindimensional bleibt.

Die szenische Verortung der Handlung bleibt vage, der finale Akt zeigt Violettas Behausung als von einem Sofa gekröntes Podium, dem jegliche Atmosphäre fehlt. Sollte es die Absicht des Regisseurs gewesen sein, dem Stück auch noch den letzten Funken an dramaturgischer Glaubwürdigkeit zu nehmen, so ist der Plan aufgegangen. Auf der Strecke blieben Verdi und Alexandre Dumas.

Giuseppe Verdi
La Traviata

Orchestra e Coro del Maggio Musicale Fiorentino
Zubin Mehta  Dirigent
Davide Livermore  Regisseur

Dynamic  57955

zuerst erschienen bei http://www.klassik-begeistert.de

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