„Die lustigen Proleten von Windsor“ – Premiere mit sozialer Schlagseite Unter den Linden

„Die lustigen Proleten von Windsor“ – Premiere mit sozialer Schlagseite Unter den Linden

Man freut sich, Otto Nicolais unverwüstlichen „Lustigen Weibern von Windsor“ nach langer Pause am Ort und im Hause ihrer Uraufführung wieder zu begegnen. Nicolai selbst hatte seine Oper im März 1849 am Pult aus der Taufe gehoben. Lange konnte er sich nicht am großen Erfolg seines Werkes freuen, nur 63 Tage nach der Premiere starb er an einem plötzlichen Schlaganfall, gerade einmal 39 Jahre alt.

Die Deutsche Spieloper hat in Zeiten einer völlig veränderten Theaterästhetik einen schweren Stand. Ihren Handlungen kann man nicht so einfach eine andere Erzählung überstülpen, es würde nicht wirklich funktionieren. Das war wohl auch dem Regisseur David Bösch und seinem Team Falko Herold und Patrick Bannwald klar. Man ließ also die Geschichte, wie sie war, ihre Verlegung in die 1980er-Jahre machte bei diesem über 400 Jahre alten Stoff aber wenig Sinn.

Der Kardinalfehler dieser Regiearbeit liegt aber in seiner Verortung auf einem sehr niedrigen sozialen Niveau. Falstaff, immerhin ein Sir, entspricht optisch einem Berliner Penner, wie man ihn in dunklen Ecken, unter Brücken oder auf Parkbänken finden kann. Halbnackter Schmerbauch, billige Tennissocken, schmuddelige Kleidung und speckige, ungewaschene Haare. Diesen Typ hätte keine Frau freiwillig in ihre Nähe gelassen.

René Pape (Sir John Falstaff). Foto: © Monika Rittershaus

Auch die Familien Fluth und Reich stellt man sich auf einem deutlich höheren sozialen Level vor. Auffällig, wie viel in dieser Aufführung getrunken wird, sämtliche Protagonisten haben permanent Flaschen in der Hand, aus denen höchst unkultiviert getrunken wird. Das praktizierte Verhalten aller Beteiligten ließe mehr auf Hartz IV-Niveau, als auf Reihenhaus-Besitzer schließen.

Mandy Fredrich (Frau Fluth) und Michaela Schuster (Frau Reich). Foto: © Monika Rittershaus

Das junge Paar Anna und Fenton schließlich wird etwas penetrant auf Pop und Punk getrimmt. Das Schlimmste aber sind die Kalauer an „humoristischen“ Einfällen Böschs. Familie Reich spricht Bayerisch (oder was die Sänger dafür halten), mehrfach angedeutete Kopulation darf auf diesem Niveau natürlich auch nicht fehlen. Den Vogel meint er am Ende abzuschießen, wenn er die leer ausgegangenen Freier Annas sich als schwules Paar, natürlich im Fummel, finden lässt und diese wahnsinnig originelle Idee noch bis in die Applausanordnung fortsetzt. Die Aufführung einer Weddinger Stehgreifbühne wäre wahrscheinlich interessanter gewesen.

Pavol Breslik (Fenton) und Anna Prohaska (Jungfer Anna Reich). Foto: © Monika Rittershaus

Der musikalische Teil des Abends hätte eine bessere Präsentation verdient. Ein altersmilder Daniel Barenboim und seine Staatskapelle fanden hörbar Gefallen an Nicolais inspirierter Partitur, die man von ihrem Schwierigkeitsgrad her nicht unterschätzen darf.

Auch die Solisten bewegten sich alle auf hohem sängerischen Niveau, allen voran René Pape als Falstaff, der dem Affen reichlich Zucker gab, sich aber in seinen Penner-Klamotten nicht unbedingt wohl zu fühlen schien. Michael Volles Herr Fluth war ein witziger Gegenspieler, die beiden Stimmen harmonierten ausgezeichnet. Auch Wilhelm Schwinghammer als Reich konnte da durchaus mithalten. Mandy Fredrich als Frau Fluth, deren große Arie eines der bekanntesten Stücke dieser Oper ist, blieb diesem Paradestück nichts schuldig und füllte ihre Rolle ausgezeichnet aus. Michaela Schuster als Frau Reich hat in dieser Rolle wenig Gelegenheit, die bedenkliche Schärfe ihrer Stimme auszustellen, was wohltuend war.

Linard Vrielink (Junker Spärlich), David Oštrek (Dr. Cajus) und Staatsopernchor. Foto: © Monika Rittershaus

Bleibt das junge, „frische“ Paar Anna Prohaska, die auch im Stück Anna heißt , und Pavol Breslik als Fenton. Leider scheinen diese beiden Sänger zumindest aktuell stimmliche Probleme zu haben. Breslik sang seine Romanze sehr, sehr vorsichtig und wirkte ein wenig unsicher. Ähnlich Anna Prohaska, deren Stimme diesmal die glockenhelle Reinheit vermissen ließ, die man sonst von dieser Künstlerin kennt. Hoffentlich sind es in beiden Fällen nur temporäre Eintrübungen.

Wieder einmal ein Abend, der mit geschlossenen Augen ein Hochgenuss gewesen wäre.

Staatsoper Unter den Linden Berlin
03. Oktober 2019 – Premiere

Otto Nicolai, Die lustigen Weiber von Windsor

Sir John Falstaff: René Pape
Herr Fluth: Michael Volle
Herr Reich: Wilhelm Schwinghammer
Fenton: Pavol Breslik
Frau Fluth: Mandy Fredrich
Frau Reich: Michaela Schuster
Anna: Reich Anna Prohaska

Regie: David Bösch
Dirigent: Daniel Barenboim

zuerst veröffentlicht bei www.klassik-begeistert.de

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